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Alles bleibt anders in der neuen EU

Margret Steffen8. August 2004

100 Tage sind seit der EU-Erweiterung vergangen. Mit viel Hoffnung, Euphorie und Aufwand haben die Beitrittsländer den 1. Mai begangen. Was hat sich seitdem getan?

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Wandel auf RatenBild: AP

Feuerwerk auf Malta, Kirchenglocken in Ungarn, Lichtermeer in Litauen und Walzertanz am Brandenburger Tor. Erst 100 Tage ist es her. Aber in Zittau, Städtchen am Dreiländereck Polen-Tschechien-Deutschland, ist die Euphorie etwa so weit weg wie Brüssel.

"Eine Luftblase, eine Schaunummer", grollt Ralf Richter, Geschäftsführer der Wiegel-Korrosionsschutz GmbH, über die Feiern zum 1.Mai. Bundeskanzler Schröder war eingeflogen und über eine Brücke geschritten, hatte den Regierungschefs von Polen und Tschechien die Hand geschüttelt und einen Spatenstich gesetzt - für eine neue Straße.

Jetzt ist der Kanzler wieder weg, die Presse auch, "und mit der Straße sind wir kein Stück weiter", sagt Richter. Seit zehn Jahren beißt er sich mit seiner Firma in der strukturschwachen Region durch - jetzt will er schnelle Wege zu neuen Kunden hinter der Grenze.

Gebratene Tauben

"Bei uns in Tschechien gibt es ein Sprichwort: 'Es fliegen keine gebratenen Tauben in den Mund'", sagt Hedvika Zimmermanova. "Wir waren nicht so naiv zu glauben, dass durch die EU sofort alles besser wird. Das geht nur durch harte Arbeit."

Zimmermanova ist Vize-Bürgermeisterin der Stadt Hrádek, Zittaus Partnerstadt direkt hinter der Grenze. "Kurz nach dem 1. Mai war es hier schon hektisch, es gab viel nachzubereiten", sagt sie. "Aber seitdem, das wussten wir auch schon vorher, ist alles erst mal wie gehabt." Auch die Tschechen hoffen, dass die von der Politik angekündigten Straßen bald gebaut werden. Eins allerdings freut Zimmermanova, die wegen der Zusammenarbeit im Dreiländereck täglich die Seiten wechselt: "Ich brauche keine dreiviertel Stunde mehr über die Grenze, sondern zehn Minuten."

Schlagbaum ohne Schlange

Deutsche und polnische Grenzbeamte Schulter an Schulter. Schweigsam, aber einträchtig blicken sie auf die Pässe, die man ihnen aus Autofenstern entgegen reicht. Im zweiten Häuschen sitzt niemand mehr. "Die Hand-zu-Hand-Kontrolle hat viel gebracht", sagt Zittaus Bürgermeister Arnd Voigt. Auch sonst gäbe es viele kleine Erleichterungen, die den Menschen zunächst gar nicht so bewusst wären.

In den ostdeutschen Grenzorten ist vor allem eine Haltung zu spüren: Abwarten. Wirtschaftsexperten haben düstere Korridor-Szenarien entworfen, mit "Sandwicheffekt" gedroht - der Osten eingeklemmt zwischen Westdeutschland und neuen EU-Staaten. Aber: "Wir sehen ja, dass die Ängste im Vorfeld etwas übertrieben waren", sagt Barbara Lippert vom Institut für Europäische Politik in Berlin. Mit der Fristenregelung für Arbeitskräfte und den neuen Absatzmärkten vor der Tür gehe es Deutschland ganz gut.

Zurück zur Tagesordnung

Dass die EU-Osterweiterung in den Köpfen der Menschen weniger präsent ist, hat einen Grund: "Der Beitritt ist über Jahre vorbereitet worden. Wirtschaftlich ist vorher ganz viel gelaufen. Der 1. Mai war nur ein Akt politischer Integration", sagt Lippert.

Wirtschaftsexperten glauben, dass nicht der Westen den Osten umkrempeln wird, sondern umgekehrt. Beispiel Steuern: Mit niedrigeren Steuersätzen und einfacheren Regelungen locken die neuen Mitgliedsländern Unternehmen an. Tschechien, eigentlich Land der Euroskeptiker, gehört inzwischen zu den bei Investoren beliebtesten Ländern.

"Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass es dort ganze Gruppen von Verlierern gibt - etwa die Rentner", schränkt Lippert ein. Deshalb könne es auch kein kollektives EU-Bewusstsein geben. "Die meisten Länder waren schon zuvor ernüchtert. Der Beitritt lässt sich nicht in den Alltag der Menschen übersetzen."

Mangel an Interesse

Außerdem: Bei den "alten" EU-Staaten bemerkt Lippert noch immer großes Desinteresse an den neuen EU-Nachbarn. "Die Leute haben keinen Bezugspunkt dort. Das ist neben der Verteuerung ein echter Nachteil für die neuen Länder."

Im Städtchen Zittau am Dreiländereck nutzen die Deutschen noch die Frist, bis die neuen Nachbarn ganz aufgeholt haben: "Nie haben wir so viele Touristen hier gehabt wie jetzt", schwärmt Bürgermeister Voigt. Ehemalige Zittauer kämen bis aus Kanada zu Besuch. Das Tourismusbüro der Stadt verschicke täglich Wanderkarten für Gäste, die zum Dreiländereck-Punkt spazieren wollen.