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Politik

Aleppo: Alles, außer Schweigen

16. Dezember 2016

Bombardierung, Einmarsch, nun wohl auch Massaker - und wir alle sind live dabei in Aleppo via Facebook und Twitter. Es bleibt ein Gefühl von Ohnmacht angesichts des Sterbens: Man kann ja eh nichts tun, oder etwa doch?

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Deutschland Protest in Berlin gegen die Eroberung Aleppos
Bild: Imago/C. Mang

Zwei, drei Klicks, und schon zeigt das Profilbild auf Twitter und Facebook nicht mehr, wie gut erholt man doch im Sommerurlaub noch aussah. Stattdessen: ein roter Kasten, der leer und fragend vom Bildschirm leuchtet.

"Für uns steht rot für das Blutvergießen, das in Aleppo stattfindet", sagt Fernsehmoderator Constantin Schreiber der DW. Gemeinsam mit dem syrischen Filmemacher Firas Alshater, der in Berlin lebt, hat er die Kampagnen #maketwitterred und #makefacebookred gestartet.

Unter dem Motto "Fühle mit Aleppo" rufen die beiden zu einem stummen Protest in den Sozialen Netzwerken auf. "Gerade die schrecklichen Bilder von verletzten und getöteten Kindern sind ja unerträglich", sagt Schreiber. "Da ist man ohnmächtig, fassungslos." So könne man sein Mitgefühl ausdrücken und auf die Situation der Menschen in Aleppo aufmerksam machen. Solidarität sei schließlich das Mindeste, was man zeigen könne.

Ob das irgendjemandem hilft, der sich vor Ort befindet? "Im Zweifel nicht", schränkt Schreiber, der gerade vom Privatsender RTL zur "Tagesschau" der ARD wechselt, selbst ein. "Aber dafür steht diese Aktion auch nicht. Sie leistet keine praktische Hilfe. Sie soll nur zeigen, dass man wahrnimmt, was geschieht. Sowohl den Menschen in der Region als auch politisch Verantwortlichen."

Per Petition Druck machen

Auch auf Plattformen wie change.org kann man zeigen, dass die Menschen in Aleppo und ihr Leiden einem nicht egal sind. So haben fast 500.000 Internetnutzer innerhalb von vier Monaten die Petition "Führende der Welt: Handeln Sie jetzt und retten Sie unsere Leben in Aleppo!" an westliche Regierungschefs, darunter Angela Merkel, unterzeichnet. Verfasst hat sie Hamza Al Khatib, der als Arzt in Ost-Aleppo arbeitet - wenn er nicht bereits geflohen ist oder getötet wurde.

CNN erreichte Dr. Kathib noch am Dienstag.Da berichtete er von Leichen, die auf den Straßen der Stadt lägen und nicht begraben würden. Auch Kinder seien Opfer von Erschießungen des Regimes. "Vielleicht schaffen wir es aus Aleppo heraus in Sicherheit", so Khatib. "Aber wir haben dann alles verloren. Unsere Stadt, unsere Würde, das Recht, in unserer Heimatstadt zu leben."

Ob Petitionen, Kommentare und Direktnachrichten in Sozialen Netzwerken dafür sorgen, dass Diplomaten sich noch stärker für die Menschen in Aleppo einsetzen? Aufgrund besonders vieler Nachfragen auf Facebook sah sich das Auswärtige Amt in Berlin zumindest veranlasst,detailliert darzulegen, wie man an einer Lösung arbeite.

Auf der Straße Profil zeigen

"Geht auf die Straße; zeigt, dass ihr da seid! Probiert irgendwie, die Weltgemeinschaft davon zu überzeugen, dass wir diesen Ort noch lebend verlassen können." Diese Worte erreichen Elias Perabo aus Aleppo und sind für ihn Motivation, Demonstrationen und Mahnwachen zu organisieren. Auch ihm geht es um ein Zeichen: "Wir sind zwar hilflos, aber wir können dem Menschen in Aleppo zumindest zeigen, wir sehen sie, wir probieren etwas", sagt Perabo der DW. "Hier schauen wir nämlich zu, wie die Leute sich in Echtzeit von uns verabschieden, und da muss man auch in Echtzeit politisch agieren." Das unterscheide Aleppo von Srebrenica oder dem Völkermord in Ruanda, dessen Schrecken erst nach und nach klar wurde.

Deutschland Protest in Berlin gegen die Eroberung Aleppos
Die meisten Demonstranten sind syrische Flüchtlinge: Vor der russischen Botschaft in BerlinBild: Imago/C. Mang

Seit 2011 engagiert sich Perabo für ein friedliches und demokratisches Syrien. Da reiste der Politikwissenschaftler gerade durchs Land, als der "Syrische Frühling" mit Protesten gegen Assad ausbrach. Als Geschäftsführer des Vereins "Adopt a revolution" versuchte er zunächst, einen demokratischen Aufbruch in Syrien zu unterstützen.

"Zivilgesellschaftliche Intervention"

Und jetzt, wo ein brutaler Krieg nach sechs Jahren in Aleppo seinem Höhepunkt entgegen zu gehen scheint? "Proteste sind momentan zentral und wichtig", sagt Perabo der DW. "Es muss politischer Druck ausgeübt werden. Die Bundesregierung macht viel zu wenig. Morgen will sich der Bundestag in seine Weihnachtspause verabschieden, ohne über die aktuelle Situation in Aleppo geredet zu haben. Genau da braucht es politischen Druck."

Den wollen Perabo und seine Mitstreiter mit Demonstrationen ausüben. Am Dienstag zogen sie in Berlin von der amerikanischen bis zur russischen Botschaft. Rund 500 Teilnehmer waren dabei. In vielen anderen Großstädten weltweit gingen am selben Abend Tausende auf die Straße, etwa in Istanbul.

Perabo ist davon überzeugt, dass Demonstrationen, und seien sie klein, eine politische Wirkung entfalten. Auf lange Sicht brauche es jedoch etwas, das er "Zivilgesellschaftliche Intervention" nennt. "Mit Aleppo ist der syrische Konflikt ja nicht vorbei. Die Leute werden zwangsumgesiedelt in Gebiete, die nach wie vor vom Regime bombardiert werden. Da müssen wir die Zivilgesellschaft, die es noch gibt in Syrien, stärken, diese ganz kleinen Pflanzen, die versuchen, eine Alternative zum bewaffneten Konflikt zu finden." Dafür sei man auf Spenden angewiesen.

Spendenmüde?

Die braucht auch das Rote Kreuz, um ganz konkret Hilfe zu leisten in Syrien. "Wir helfen auch vor Ort in Aleppo", sagt Dieter Schütz, Pressesprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), im Gespräch mit der DW. "Wir geben dort zum Beispiel täglich 6500 warme Mahlzeiten aus. Wir reparieren Trinkwassertanks, betreiben drei mobile Gesundheitsstationen."

Allerdings: Die Spendenbereitschaft der Deutschen für Syrien scheint zurückzugehen: "Im vergangenen Jahr haben wir Spenden für Syrien und die Nachbarländer, in denen viele syrische Flüchtlinge leben, in Höhe von etwa 1,1 Millionen Euro erhalten", sagt Schütz. "In diesem Jahr rechnen wir mit etwa der Hälfte." Möglicherweise sei im sechsten Jahr des Bürgerkrieges doch ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten.

Aus Deutschland ist neben dem DRK unter anderem das Bündnis "Aktion Deutschland hilft" mit Hilfsprojekten in Syrien tätig, international zum Beispiel das UNHCRoder die Ärzte ohne Grenzen. Wer sich an Bilder sterbender Menschen einfach nicht gewöhnen kann, der hat die Möglichkeit, die Arbeit dieser Hilfsorganisationen zu unterstützen.