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"Frauen sind die Zukunft Syriens"

Barbara Wesel, Istanbul24. Mai 2016

Das erste Mal wurde auf einem UN-Gipfel die Unterstützung von Frauen in Krisensituation thematisiert. Mariah Al Abdeh, Aktivistin aus Syrien, hat Einblicke in das Leben vieler Syrerinnen gegeben. Barbara Wesel, Istanbul.

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Syriens Flüchtlinge mit Kinderm auf dem Arm (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/Photoshot/Xinhua/M. Abu Ghosh

Die syrische Friedens- und Frauenaktivistin Mariah Al Abdeh istz eigentlich Wissenschaftlerin. Doch mittlerweile organisiert Al Abdeh auch das Netzwerk SFD (Frauen für Entwicklung Jetzt), das lokale Netzwerke von Frauen in Syrien und den Nachbarländern unterstützt. Sie lebt inzwischen in Paris, ihr Mann ist in Berlin. DW-Korrespondentin Barbara Wesel hat sie in Istanbul getroffen:

Deutsche Welle: Frau Al Abdeh, können Sie uns Ihre Arbeit beschreiben?

Mariah Al Abdeh: Derzeit betreuen wir sechs Gruppen in Syrien und zwei im Libanon, in den Flüchtlingscamps. Die Idee ist, dass Frauen sich vor Ort selbst organisieren, Gruppen bilden und sich gegenseitig unterstützen. Und wir versuchen, ihnen dafür Hilfsmittel zu geben. Das kann zum Bespiel Unterrichtsmaterial für Kinder sein, aber auch Ausbildung für die Frauen selbst. Viele sind durch den jahrelangen Krieg zu den Ernährern ihrer Familien geworden. Sie brauchen einen Ort an dem sie sich austauschen können und sich sicher fühlen, aber auch Zugang zu Bildung und Büchern bekommen. Wir wollen Frauen vor Ort die Fähigkeit geben, ihr Leben zu verbessern und zusammen zu arbeiten.

Mariah Al Abdeh baut lokale Netzwerke für Syrerinnen aus (Foto: DW)
Mariah Al Abdeh baut lokale Netzwerke für Syrerinnen ausBild: DW/B. Wesel

In welchen Regionen in Syrien sind sie aktiv?

Wir können nur in den Gebieten arbeiten, die nicht vom Assad Regime kontrolliert werden. Die Frauen dort leben unter unglaublichen Bedingungen: Manche haben tagelang nichts zu essen, es gibt keinen Strom, kein Wasser. Und in den Flüchtlingslagern leiden sie unter Diskriminierung und Übergriffen. Sie können sich teilweise nicht selbst registrieren, das es auch Gewalt gegen Frauen gibt. Wir arbeiten aber auch in Gegenden, die schon vor dem Krieg arm und vernachlässigt waren, etwa in der Nähe von Damaskus. Dort hatte es nie Programme für Frauen gegeben, und wir versuchen die Frauen dort zu aktivieren. Sie brauchen Hilfe zur Selbsthilfe, müssen Selbstvertrauen gewinnen und den Umgang mit dem Internet erlernen.

Wie organisieren Sie ihre Arbeit?

Die meisten meiner Kolleginnen arbeiten in Syrien (Anmerkung der Redaktion: aus Sicherheitsgründen werden keine Orte und Namen genannt). Wir suchen in verschiedenen Regionen nach aktiven Frauen, die wir dann über das Internet und persönliche Kontakte dabei unterstützen, lokale Netzwerke aufzubauen. Viele sind sehr jung, zwischen 20 und 25, und gut ausgebildet. Sie sind diejenigen, die für den Wandel stehen, die an der Front arbeiten. Sie kennen die Lebensumstände der Frauen und ihre Bedürfnisse. In den ärmsten Gebieten ist das Heiratsalter von 18 auf 12 Jahre gesunken, weil viele Familien Heirat als eine der wenigen Möglichkeiten zum Überleben ihre Töchter sehen. Wir müssen überlegen, welche anderen Möglichkeiten wir anbieten können und wie Frauen vor Ort Aufklärungsarbeit leisten können.

Syriens Flüchtlingsfrauen mit Baby (Foto: DPA)
Viele Frauen flüchten aus Syrien - auch, um ihren Kindern ein sicheres Leben zu ermöglichenBild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Wie ist die Lage der Frauen nach fünf Jahren Krieg?

Manche Frauen leben seit Jahren unter den Bombenangriffen. Sie kämpfen um das Überleben. In manchen abgeschnittenen Gebieten gibt es längst keine Schmerzmittel mehr für Frauen, die sie brauchen, wenn sie Kinder bekommen. Als wir fragten, ob wir Medikamente schicken sollten, wollten die Frauen lieber Schulbücher für die Kinder. Sie sind wirkliche Kämpferinnen. Aber es geht um mehr: Eine Frau in Daraa, einer Stadt die, ständig bombardiert wurde, schrieb einen offenen Brief. Es war eine Art Abschiedsbrief, denn sie musste jeden Tag damit rechnen, zu sterben. Aber es war auch ein Hilferuf an die Welt. Wir konnten ihn an britische Parlamentarierinnen weiterleiten, die sich dem Thema angenommen haben. Jetzt wird geplant, dort Hilfslieferungen abzuwerfen. Zum ersten Mal wurde so die Stimme einer Frau aus einer kleinen Stadt in Syrien international gehört. Diese Frauen sind die Zukunft Syriens.

Wie bewerten sie das Engagement der UN und der Hilfsorganisationen für Frauen?

Als sehr kleine Organisation sind wir vielleicht besonders kritisch. Es wird hier so viel über Versprechen und Verpflichtungen geredet, aber wie werden sie umgesetzt? Wie können wir - zum Beispiel - Geld zu den Frauen bringen, die es dringend benötigen? Die Prioritäten der Geber und Hilfsorganisationen sind nicht unbedingt die der Frauen. Dazu kommt: Wir kämpfen mit der Bürokratie der Geber und mit den Anti-Terror-Gesetzen. Es ist alles zu kompliziert, um schnelle Hilfe zu organisieren. Aber es ist natürlich gut, dass dieses Thema bei der UN jetzt auf der Agenda ist: Nur deswegen wurden wir schließlich hier nach Istanbul auf den Gipfel eingeladen.

Das Gespräch führte Barbara Wesel