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"7000 Menschen in Pakistans Todeszellen"

Esther Felden7. April 2016

Die Zahl der Hinrichtungen in Pakistan ist 2015 deutlich angestiegen. Im neuen Amnesty-Jahresbericht zur Todesstrafe nimmt das Land mittlerweile einen Spitzenplatz ein - so AI-Experte Oliver Hendrich im DW-Interview.

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Ein Galgen mit drei herunterhängenden Schlingen (Foto: picture alliance/ZUMA Press)
Bild: picture alliance/ZUMA Press

Deutsche Welle: Im vergangenen Jahr wurden in Pakistan über 320 Hinrichtungen vollstreckt - so viele wie nie zuvor. Wieso ist die Zahl angestiegen?

Pakistan hatte über mehrere Jahre ein inoffizielles Hinrichtungsmoratorium, das heißt, es wurden keine Hinrichtungen durchgeführt. Nach einem terroristischen Angriff (auf eine Schule in Peschawar, Anm. der Red.) Ende 2014 wurde dieser Hinrichtungsstopp beendet, zunächst für Delikte im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten, dann aber auch für andere Verbrechen, die in Pakistan mit der Todesstrafe geahndet werden können. In Pakistan sitzen ungefähr 7000 Menschen im Gefängnis mit einem Todesurteil. Das heißt, die Zahl der Menschen, die hingerichtet werden können, ist noch ganz hoch.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass sich die Zahl der Hinrichtungen wieder reduziert? Die Taliban haben ja trotz der Aufhebung des Moratoriums weitere Anschläge verübt.

Oliver Hendrich, AI-Experte zum Thema Todesstrafe (Foto: Amnesty International)
Oliver Hendrich von Amnesty InternationalBild: Amnesty International

Wir fordern die pakistanische Regierung immer auf, die Todesstrafe auszusetzen und abzuschaffen, weil sie strafpolitisch keinen Sinn macht - nicht für die Bekämpfung von Terrorismus und auch nicht für die Bekämpfung von Kriminalität. Die Todesstrafe ist nicht abschreckender als andere Strafen. Das heißt, hier wird Augenwischerei betrieben. Das ist aus Sicht des Staates möglicherweise ein starkes Signal, aber es greift die Wurzeln des Problems nicht an.

Wie reagiert die pakistanische Seite auf Ihre Appelle?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass unsere Vorstöße zur Kenntnis genommen werden. Regierungen hüten sich in aller Regel davor, das öffentlich kundzutun. Aber wir sehen, gerade wenn sich Amnesty für einzelne Menschen, die in Todeszelle sitzen, einsetzt, dass es von der Regierung registriert wird - und dass auch der weltweite Trend für die Abschaffung der Todesstrafe ein starkes zivilgesellschaftlich Signal ist.

Auf welche Verbrechen steht in Pakistan die Todesstrafe und auf welche Weise werden die Verurteilten hingerichtet?

In Pakistan kann die Todesstrafe für klassische Gewaltdelikte verhängt werden, aber auch für eine Reihe von Delikten im Zusammenhang mit den Antiterrorgesetzen. Die Todesstrafe wird dann von speziellen Gerichten verhängt. In Pakistan wird die Todesstrafe in der Regel durch Erhängen vollstreckt.

Wie sieht generell die Strafverfolgung aus: Wie fair oder eben auch nicht laufen juristische Verfahren ab?

Da muss man ein ganz großes rotes Ausrufezeichen setzen. Amnesty International weiß von vielen Fällen, wo Geständnisse durch Folter erwirkt wurden, wo Prozesse die vorgeschriebenen Standards nicht eingehalten haben. Zudem verletzt Pakistan das internationale Recht auch dadurch, dass immer wieder Verurteilte hingerichtet werden, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Das ist ein ganz klarer Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention und das Völkergewohnheitsrecht. Da gibt es sehr viele Probleme. Und gerade bei der Todesstrafe in ihrer Endgültigkeit hat es dann immer noch eine besonders dramatische Dimension, weil der Staat nicht in der Lage ist, mögliches Unrecht wieder gut zu machen. Im vergangenen Jahr wurden mindestens fünf Menschen in Pakistan hingerichtet, die zur Tatzeit unter 18 Jahre alt waren.

Ein Fall aus Pakistan hat internationale Bekanntheit erlangt. Es geht um die wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilte Christin Asia Bibi. Seit Jahren bemühen sich Menschenrechtsorganisationen um ihre Freilassung, auch das EU-Parlament und der ehemalige Papst Benedikt setzten sich für sie ein - aber bislang alles ohne Erfolg. Gibt es in diesem Fall neue Entwicklungen?

Nein, traurigerweise nicht. Asia Bibi sitzt weiter in Haft. Die große Zahl der zum Tode verurteilten Menschen, die in pakistanischen Gefängnissen einsitzen, deutet darauf hin, dass es eben große Probleme gibt, rechtsstaatliche Verfahren einzuhalten. Dort sitzen auch Menschen, die seit vielen Jahren auf Prozesse oder Berufungsverfahren warten. Das ist ein großes Problem, denn mit der Bedrohung im Kopf leben zu müssen, dass man vielleicht hingerichtet wird, das ist für den menschlichen Körper und Geist ein zermürbender Zustand.

Welche Möglichkeiten hat Amnesty überhaupt, mit zum Tode verurteilten Häftlingen in Kontakt zu treten?

Amnesty nutzt hier unterschiedliche Wege. Zum Einen nutzen wir Kontakte, die sich ergeben, wenn sich der Betroffene, sofern er die Möglichkeit hat, selbst an Amnesty wendet. Zum Beispiel über Mittelsmänner oder über seine Familie. Der Kontakt zur Familie ist insgesamt natürlich auch ein wichtiges Element, genau wie der Kontakt zu den jeweiligen Anwälten. Dann gibt es andere Organisationen, die Informationen beisteuern und mit denen man zusammenarbeitet. Wenn Amnesty zu Einzelschicksalen arbeitet, dann macht die Organisation das immer mit dem Einverständnis der Person, weil wir uns nicht über den Kopf der Menschen hinweg für sie einsetzen wollen, sondern mit ihnen zusammen. Und manchmal interagiert Amnesty auch direkt mit der jeweiligen Regierung - wenn diese das zulässt.

Oliver Hendrich ist Experte für das Thema Todesstrafe bei Amnesty International.

Das Interview führte Esther Felden.