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Aggressionshemmung mit Schleifchen

Svenja Üing23. Dezember 2003

Was man wem schenken soll, ist für viele die beherrschende Frage der Weihnachtszeit. Doch warum wird eigentlich geschenkt? Versuch einer ethnologischen Antwort.

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Bild: AP

Kerzen, Lichterketten und Engelsseife, gehören in diesem Jahr zu den Verkaufsschlagern. Für die Kinder werden Lego-Bausteine und Playmobil-Spielzeug gekauft, und die Größeren und die Erwachsenen haben offenbar vor allem Unterhaltungselektronik, Espressomaschinen und Parfümprodukte auf ihre Wunschzettel geschrieben.

Vorbei die sinnliche Adventszeit, in der sich die Deutschen vor allem mit Selbstgebasteltem auf die weihnachtlichen Geschenkrituale vorbereiteten. Das Problem beginnt mit der Suche nach dem passenden Geschenk: Wem kaufe ich was? Wie viel Geld gebe ich für wen aus? Und woher nehme ich im Vorweihnachtstrubel die Zeit, das alles zu besorgen? Rund acht Milliarden Euro haben die Deutschen 2002 insgesamt für Weihnachtsgeschenke ausgegeben. Eigentlich unnötig, denn in einer wohlhabenden Industriegesellschaft wie Deutschland können sich die meisten Erwachsenen ohnehin alles selbst kaufen, was sie zum Leben brauchen, sagt Friedrich Rost, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität in Berlin: "Das Problem ist: Was schenkt man jemandem, der schon alles hat?"

Kindliche Erfahrung gegen Aggressionen

Was aber treibt die Menschen dennoch dazu, für Familie und Freunde Geschenke zu suchen? "Ganz offensichtlich Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben, insbesondere kindliche Erfahrungen, dass Schenken eben sehr beglücken kann. Und dass auch Geschenkt-Bekommen eine Freude auslösen kann."

Freiwilliges Geben, so Rost, stabilisiert die Beziehungen zwischen Menschen. Es hemmt Animositäten und Aggressionen und hilft, Streitigkeiten zu überbrücken. Das weihnachtliche Schenken ist also aus der Sicht des Gebenden nicht uneigennützig: Die Schenkenden wollen ihre Freundschaften und familiären Bindungen stärken und zugleich ihre eigene Großzügigkeit dokumentieren. Das funktioniert natürlich nur, wenn das Geschenk stimmt. Die Anforderungen an die Suche nach dem passenden Geschenk sind hoch, gerade zu Weihnachten, wenn der Wunsch nach Harmonie besonders groß ist: Individuell ausgesucht sollte das Geschenk sein. Es darf weder zu teuer noch zu preiswert sein und sollte dem persönlichen Verhältnis von Schenkendem und Beschenktem entsprechen.

Alles Code

Es kommt eben nicht nur auf das passende Geschenk an, sondern auch auf die richtige Art, ein Geschenk zu überreichen beziehungsweise anzunehmen, sagt Rainer Wehse, Ethnologe an der Universität München: "Man muss den Code, den Geschenkcode, die Norm, ganz genau wissen. Und der Code entwickelt sich innerhalb einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung, innerhalb einer Region, innerhalb eines Landes. Und das ist institutionalisiert."

Und dies durchaus mit feinen, bedeutenden Unterschieden: Blumen gibt man in Deutschland etwa ohne Verpackung. In England hingegen sind sie verpackt, müssen aber sofort ausgepackt werden, während der Schenker noch vor dem Gastgeber steht. Und in Frankreich werden sie verpackt weggelegt und werden erst dann ausgepackt, wenn der Schenker schon wieder das Haus verlassen hat. "Wenn gegen irgendeine dieser Regeln, gegen den Code verstoßen wird, dann gibt es Stress", so der Ethnologe.

Schenk-Strategien

Um diesen Stress unterm Tannenbaum zu vermeiden, entwickeln viele Familien in Deutschland ihre persönlichen Geschenk-Strategien: Sie legen den genauen Wert der Gaben fest, sie schreiben vor Weihnachten auf so genannte Wunschzettel haargenau, welche Produkte sie in welcher Farbe von welcher Firma haben möchten - oder verzichten komplett auf Geschenke.

Und wenn man dann doch wie alle Jahre wieder die Strickstrümpfe von der Tante geschenkt bekommt, empfiehlt ein deutscher Benimm-Ratgeber aus dem Jahr 1954: "Das Empfangen von Geschenken erforderte ebensolches Feingefühl wie das Geben. Selbst wenn man ein unerwünschtes oder geschmackloses Geschenkt bekommen hat, muss man gute Miene zum bösen Spiel machen und sich so freundlich als möglich bedanken."