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Afghanistans Frauen und die Wahl

Karen Fischer, zurzeit Kabul 8. Oktober 2004

Bei der Präsidentschaftswahl in Afghanistan bewirbt sich erstmals eine Frau. Noch vor einigen Jahren war das undenkbar. Für viele Frauen hat sich die Lebenssituation kaum geändert, doch die meisten wollen wählen gehen.

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Unterstützerinnen von KarsaiBild: AP
Schule nach vier Jahren Zwangspause
Nach dem Sturz des radikal-islamischen Taliban-Regimes dürfen Mädchen wieder in die Schule gehenBild: AP

"Meri", sagt Saida schüchtern. "Ja, ich gehe zu den Wahlen, denn das ist unser Land, da sollten wir auch wählen." Der Aufruf einer ganz gewöhnlichen Frau in Kabul. Saida geht nicht ohne Burka - den Schleier - auf die Straße, und das Haus verlässt sie nur, wenn es unbedingt sein muss. Lesen und Schreiben hat sie nie gelernt, wie 80 Prozent der afghanischen Frauen. Doch das bedeute nicht, dass diese Frauen keine politische Meinung hätten, erklärt Najia Zewari von UNIFEM, der Frauenorganisation der Vereinten Nationen (UN): "Analphabetismus ist nicht gleich politisches Unverständnis. Wir haben Politik sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Mit unseren Erfahrungen in unterschiedlichen Ländern, mit linken, rechten und fundamentalistischen Gruppen. Selbst ein Kind kann heutzutage über Politik reden in Afghanistan."

Wählen gehen oder nicht?

Wenn am Samstag (9.10.2004) um 7 Uhr die rund 20.000 Wahl-Lokale in Afghanistan öffnen, dann sind fast die Hälfte davon für Frauen reserviert. Denn: mehr als 40 Prozent haben sich für die Präsidentschaftswahlen registrieren lassen. Ob und wie viele dieser Frauen aber tatsächlich wählen gehen, lässt sich nicht vorhersagen. Najia Zewari von UNIFEM ist jedoch optimistisch.

Frauen in Afghanistan warten auf CARE Hilfe
Zwei Afghaninnen mit BurkaBild: AP

Sajia Begham hat sich nicht registrieren lassen. Sie ist jung und gebildet, arbeitet bei der deutschen Hilfsorganisation "medica mondiale" als Frauenrechtsaktivistin und hat sich mit dafür entschieden, die Wahl zu boykottieren - wie viele ihre afghanischen Kolleginnen: "Ich habe mir die Kandidaten angeschaut, und keiner von ihnen hat das Zeug zum Präsidenten." Sie zweifelt an der Glaubwürdigkeit und Integrität der Kandidaten und ist frustriert vom politischen Prozess der vergangenen Jahre. Sajia's Problem ist: Sie ist zu gut informiert. Für die Analphabetin Saheeda, ist die Wahlentscheidung dagegen einfach: "Ich freue mich, dass Karsai wieder Präsident wird. Seitdem er da ist, ist alles besser geworden in Afghanistan. Er ist ein kluger Mensch."

Schwierig, eine afghanische Frau zu sein

Die anderen Kandidaten kennt sie nicht. Und was Saheeda auch nicht weiß: Hamid Karsai ist zusammen mit seinem Haupt-Widersacher Junis Kanuni der einzige der 18 Kandidaten, der keine Zeit für eine Umfrage von "medica mondiale" gefunden hat. Thema der Umfrage: Was wollen die Kandidaten für die Frauen Afghanistans tun, falls sie Präsident werden. Rachel Wareham von "medica mondiale" über das Ergebnis: "Die meisten der Kandidaten haben noch gar nicht daran gedacht, über Frauen nachzudenken. Ungefähr genauso wenig, wie über Tierschutz. Aber immerhin, sie haben die Bereitschaft gezeigt, sich auf das Thema einzulassen, und sie haben alle deutlich gemacht, dass sie wissen, wie schwierig es ist, eine afghanische Frau zu sein."

Frauen in Afghanistan
Zwei afghanische Ärztinnen begutachten das Röntgenbild einer PatientinBild: AP

Noch viel schwieriger wird es, wenn Frauen sich aktiv am politischen Prozess beteiligen wollen. Bei den jetzigen Wahlen steht immerhin eine Präsidentschaftskandidatin auf der Liste. Massouda Jalal hat daher viel Aufmerksamkeit bekommen - allerdings vor allem von den internationalen Medien. Respekt und Anerkennung zu finden sei schwer für Frauen mit politischen Ambitionen, meint Rachel Wareham von "medica mondiale".

"Das ist völlig okay"

Auch wenn die afghanischen Frauen nun wählen dürfen, auch wenn es eine Präsidentschaftskandidatin gibt - für die gebildeten Afghaninnen ist das noch lange nicht genug. Sie wissen: In Afghanistan stellen immer noch die Männer die Regeln auf. Najia Zewari von UNIFEM kennt dieses Spiel gut: "In Afghanistan läuft das so: Die Männer an den politischen Schaltstellen sind vor allem an ihrem eigenen Vorteil interessiert. Wenn die glauben, dass die Wahlbeteiligung von Frauen ihnen hilft, ihre Macht zu halten, dann wechseln sie ihre Meinung und sagen, 'das ist völlig okay'. Was natürlich gut ist für die Frauen. Aber die müssen lernen, dann auch auf ihrem Recht zu beharren. Wenn die Männer das nächste Mal sagen, geh' nicht wählen, dann müssen die Frauen sagen: 'Doch, natürlich. Wenn es gestern richtig war, dann ist es heute auch richtig.'"