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Ackermann: "Menschenhandel ist das Verbrechen Nummer 1"

Sven Pöhle3. Juni 2013

Ordensschwester Lea Ackermann, Gründerin und Vorsitzende der Hilfsorganisation Solwodi, fordert mehr Aufmerksamkeit für den Kampf gegen den Menschenhandel. Vor allem Deutschland hinke den EU-Vorgaben hinterher.

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Schwester Lea Ackermann, Gründerin der Frauenhilfsorganisation Solwodi (Foto: Christopher Adolph)
Bild: picture alliance/Eventpress pixel

DW: In einer EU-Plattform haben sich auf Initiative der Europäischen Kommission über 100 zivilgesellschaftliche Organisationen aus Europa zusammengeschlossen. Ziel ist eine stärkere Zusammenarbeit im Kampf gegen den Menschenhandel. Frau Ackermann, Ihre Hilfsorganisation Solwodi ist Mitglied der neuen EU-Plattform. Was kann diese überhaupt leisten, vor allem im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtslage in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten?

Lea Ackermann: Man kann darauf aufmerksam machen, dass diese Rechtslage eigentlich die Verbrecher fördert und man kann ganz konkrete Vorschläge machen. Man kann zum Beispiel anregen, dass die Frauen, wenn sie aufgegriffen werden, nicht neu kriminalisiert werden, sondern dass man ihnen ein Aufenthaltsrecht in dem Land gibt, wo ihnen dieses Unrecht zugefügt worden ist.

 EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat den Menschenhandel gerade als moderne Form der Sklaverei bezeichnet. Muss man dem Kampf gegen den Menschenhandel mehr Gehör verschaffen?

Das ist auf jeden Fall notwendig. Das ist das Verbrechen Nummer eins unserer Tage und man schaut nicht hin. Ich kann das nicht fassen. Es ist wirklich so menschenverachtend, was mit diesen Frauen und auch Kindern geschieht.

Eine Studie der EU zeigt, dass der Menschenhandel in der Europäischen Union zugenommen hat. Die Zahl der Verurteilungen ging hingegen zurück. Hat Sie das überrascht?

Das macht mich sehr betroffen, aber es überrascht mich überhaupt nicht, weil es ja kaum noch zu Verurteilungen kommt und wenn, dann sind die so minimal, dass es einfach ein Skandal ist. Es ist einfach unglaublich, wie wenig das überhaupt ernst genommen wird.

Moderne Sklaverei mitten in Europa

Was macht die EU im Kampf gegen den Menschenhandel?

Sie hat ja immerhin diese Studie herausgebracht und auch einen Vorschlag gemacht, der auch von Deutschland unterzeichnet werden sollte, dass die Opfer besser geschützt werden, zum Beispiel mit dem Aufenthaltsrecht, mit einer finanziellen Hilfe und so weiter. Und das finde ich auch unbedingt in Ordnung. Ich kann es einfach nicht verstehen, warum die deutsche Regierung diese Richtlinie nicht umgesetzt hat.

Sie haben es angesprochen: Trotz des Anstiegs der Opferzahlen haben bislang nur neun der 27 Mitgliedsländer die von der EU in einer Richtlinie geforderten Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels umgesetzt. Auch Deutschland hat die von der EU gesetzte Frist für den 6. April 2013 verstreichen lassen. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen. Das Thema wird als nebensächlich angesehen. Ich kann es nicht verstehen, weil dieses Verbrechen in Deutschland wächst. Seitdem wir seit 2002 das Prostitutionsgesetz haben, ist der Menschenhandel in Deutschland angestiegen. Aber dieses Gesetz hat es schwerer gemacht, an die Frauen heranzukommen und sie zu finden.

Die EU-Studie geht von fast 24.000 Opfern von Menschenhandel aus. Laut EU-Kommissarin Cecilia Malmström ist diese Zahl aber nur die Spitze des Eisbergs. Sehen Sie das auch so?

Die Dunkelziffer ist unendlich hoch, denn die Täter üben ja auch Druck aus, so dass die Frauen sich nichts zu sagen trauen. Die drohen, wir kennen deine Familie in deinem Heimatland, denen wird etwas passieren, wenn du redest. Es wird ihnen gesagt, die Polizei schiebt sie nur ab und glaubt ihnen nicht. Sie kennen die Polizei in ihren Heimatländern, in denen oft Korruption herrscht und denken, das ist hier genauso. Es gibt so viele Dinge, die die Frauen verängstigen, dass sie gar nicht bereit sind, auszusagen.

Wer sind die Opfer?

Im vergangenen Jahr haben sich 1772 Frauen aus 108 Ländern erstmalig an Solwodi gewandt. Wir sind eine Beratungsstelle für Frauen, die Opfer von Gewalt und Menschenhandel geworden sind. Meine Erfahrung - und ich habe mit Tausenden von Frauen gesprochen – ist, dass sie sich alle in einer Zwangslage befinden, in die sie aus einer Notsituation heraus geraten sind.

Was könnte man in Deutschland ändern, um den Menschenhandel zu schwächen oder gar zu unterbinden?

Ich finde, man sollte auch mal die Freier unter die Lupe nehmen. Die Freier kommen immer so weg, als hätten sie eigentlich gar nichts damit zu tun. Dabei schaffen sie den Markt. Und noch etwas wäre mir ein ganz großes Anliegen: Dass sich diese Plattform darum kümmert, dass nicht nur die Aussagen der Frauen gezählt werden, sondern auch das Umfeld mal näher unter die Lupe genommen wird, zum Beispiel Kontobewegungen.

Was müsste auf EU-Ebene passieren?

Die EU kann zumindest auch Druck machen. Das Verbrechen ist ja an keiner Grenze aufgehalten - nur die Strafverfolgung.

Lea Ackermann ist Gründerin und Vorsitzende der Hilfsorganisation Solwodi (Solidarity with Women in Distress - Solidarität mit Frauen in Not). Die Ordensschwester erhielt 2012 das Große Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement gegen Zwangsprostitution, Menschenhandel und Zwangsheirat.

Das Gespräch führte Sven Pöhle.