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Abschied von der Gründerzeit?

Jens Thurau23. April 2003

Die Grünen stellen bei einer Urabstimmung die Trennung von Amt und Mandat zur Debatte. Die Parteiführung ist zuversichtlich, dass die Mitglieder zustimmen.

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Wer lacht zuletzt? Grüne Spitzenpolitiker Künast, Müller, FischerBild: AP

Mehr noch als heute, haben sich die Grünen in ihrer Anfangszeit als grundlegende Alternative zu den etablierten Parteien verstanden - und deswegen einiges anders gemacht. Programmatisch sowieso, aber auch in Sachen Formalien. Ein Beispiel ist das Prinzip der Trennung von Amt und Mandat. Das bedeutet: Kein grüner Politiker, der im Bundesvorstand sitzt, darf ein Bundestags- oder Landtagsmandat innehaben. Eigentlich sollte diese Regelung Machtkonzentration verhindern - doch in der Praxis hat sich das Modell nach Ansicht von Kritikern vor allem als unpragmatisch herausgestellt. Mit Hilfe einer Mitgliederbefragung wollen die Grünen die strikte Trennung von Amt und Mandat nun wenigstens aufweichen.

Bei schwierigen Fragen lieber die Basis befragen - das ist bei den Regierungsparteien SPD und Grünen derzeit sehr beliebt. In der SPD will der linke Flügel in einem Mitgliederbegehren gegen die Reformpläne des Kanzlers im Sozialbereich Front machen, und bei den Grünen beginnt jetzt die Urabstimmung über eine leidige Satzungsfrage, die die Umweltpartei seit Jahren beschäftigt - und sie immer wieder in mittelschwere Krisen gestürzt hat.

Gegen den Machtmissbrauch

In ihrer Gründerzeit wollten die Grünen jeder Form von Machtmissbrauch in den eigenen Reihen vorbeugen - und schrieben in ihre Satzung, dass nicht im Bundesvorstand sitzen dürfe, wer gleichzeitig im Bundestag oder in einem Landtag ein Mandat innehat. "Strikte Trennung von Amt und Mandat" heißt die Bestimmung in der Sprache der Parteisatzung - und gerade im letzten Herbst führte sie zu einem Erdbeben in der Partei. Die erfolgreiche Doppelführung an der Parteispitze - Claudia Roth und Fritz Kuhn - wurde gekippt. Beide hatten ein Bundestagsmandat erobert und angenommen, eine Zweidrittelmehrheit des Parteitages in Hannover sollte ihnen eine Satzungsausnahme und den Verbleib an der Parteispitze sichern - das misslang knapp. Der letzte von unzähligen Versuchen war gescheitert, die Trennung per Parteitagsbeschluss aufzuheben.

Jetzt werden alle knapp 44.000 Mitglieder per Briefwahl befragt, ob sie einem Kompromiss zustimmen wollen. Zwei der sechs Vorstandsmitglieder sollen auch Mandatsträger sein dürfen, allerdings nicht Fraktionschefs. Die Briefe werden jetzt verschickt, bis Mitte Mai kann abgestimmt werden. Grünen-Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke ist zuversichtlich. Sie rechnet mit einer breiten Mehrheit für den Kompromiss und hofft dass damit die Diskussion über die Trennung von Amt und Mandat in unserer Partei beendet sein wird. Die Chancen stehen nicht schlecht. In der grünen Mitgliedschaft besteht traditionell eine pragmatische Haltung - und mit Pragmatismus begründen die Gegner der Satzungspassage auch ihren Änderungswunsch. Verfilzung und Machtkonzentration habe die Trennung nie verhindern können, stattdessen stünden die Parteichefs - ohne Mandat - bei wichtigen politischen Entscheidungen quasi in der zweiten Reihe und müssten im Bundestag zuschauen.

Sorge um das Interesse

Wenig Profil werfen viele Grüne auch den jetzigen Parteichefs Angelika Beer und Reinhard Bütikofer vor, die Roth und Kuhn beerbten. Was passiert, wenn die Basis der Satzungsänderung zustimmt? Gibt es dann ein Comeback von Roth und Kuhn? Grünen-Bundesgeschäftsführerin Lemke wiederspricht: "Wir haben einen Bundesvorstand, der für zwei Jahre gewählt ist und eine sehr gute Arbeit leistet. Von daher gehe ich nicht davon aus."

Sorgen bereitet der Führung, ob sich angesichts von deutscher Reformdebatte und Irak-Krieg genug grüne Mitglieder für die Urabstimmung interessieren. Bei der ersten Mitgliederbefragung in der grünen Geschichte vor zehn Jahren war dies aber durchaus der Fall: Da stimmte eine große Mehrheit für eine Fusion der West-Grünen mit dem ostdeutschen Bündnis 90. Wenn alles glatt geht, wollen die Grünen am 23. Mai das Ergebnis verkünden - und die unbeliebte Satzungsformel endgültig einmotten