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Abschied vom Orient

Christine Gruler14. April 2003

Titel und Plakat einer Berliner Schau junger arabischer Kunst lassen bewusst viele Deutungen offen. Eines betont das Haus der Kulturen jedoch vehement: "DisORIENTation" ist kein Kommentar zur aktuellen politischen Lage.

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Mit Nadelstichen wirbt das Ausstellungsprojekt "DisORIENTation"Bild: Jumana Emil Abboud

Dörfliches Idyll an einem Ort im Nildelta, der auf der Landkarte nicht existiert. Hundert Minuten hält die Kamera auf eine kleine Kreuzung. Gänse wackeln über die holprige Straße. Irgendwann schlendern zwei Frauen auf ein Gebäude zu. Das einzige störende Geräusch stammt vom Rattern einer Wasserpumpe. Mit dieser Videoinstallation präsentiert Susan Hefuna ein scheinbar romantisches Bild vom Leben im Delta.

Kein Betrachter würde vermuten, dass eine der beiden Frauen sich selbst als Fremde in dieser Landschaft empfindet. Die eigentlichen Geschichten blieben hinter der Projektionsfläche verborgen, kommentiert Hefuna diesen sehr intimen Blick: Sie selbst ist die Frau, um die es sich handelt. Aufgenommen hat sie die Bilder vom Dach ihres Elternhauses. Rein äußerlich passt die deutsch-ägyptische Künstlerin perfekt in das aus westlicher Perspektive exotische Szenario.

Den Schleier auflösen

Susan Hefuna in Berlin Plakat
Postkarte von Susan HefunaBild: Susan Hefuna

In vielen ihrer Arbeiten spielt die Frau, die in beiden Kulturen heimisch und fremd in einem ist, mit stereotypen Wahrnehmungen und kulturellen Codes. Für die Berliner Ausstellung hat sie sich außerdem dem altägyptischen Emblem der Nofretete angenommen. "Greetings from Cairo" empfangen den Besucher schon vor dem Eintritt ins Haus der Kulturen der Welt, in dem derzeit weitere 12 Künstler einen Einblick in die zeitgenössische Kunstszene aus dem Nahen Osten geben. Sie kommen aus Ägypten, Syrien, Jordanien, Palästina und dem Libanon. Keiner der hier vertretenen Künstler zählt in seiner Heimat zur staatlich geförderten Elite.

Mit Nachdruck verweisen Intendanz und Projektleitung des Hauses der Kulturen außerdem darauf, dass "disORIENTation" schon vor dem 11. September in Planung war. Keinesfalls dürften die Arbeiten der Künstler als Statements zur aktuellen politischen Situation gelesen werden. Ein Hauptanliegen sei es "den Schleier unserer Wahrnehmung aufzulösen, um die Situation in der Region objektiver verstehen zu können".

Individuelle Positionen vor dem Hintergrund der Zeit

Nicht selten ist Subjektivität ein geeignetes Mittel hierfür. Die Libanesin Lamia Joreige hat die persönliche Stellungnahme gewählt. Für "Objects of war" bat sie mehrere Gesprächspartner vor laufender Videokamera jeweils einen Gegenstand vorzustellen, der für ihre persönlichen Erlebnisse im Libanonkrieg steht. Meist sind es ganz banale Alltagsdinge wie die Miss-Piggy-Tasche, die jetzt in Berlin ausgestellt ist. Ihre Trägerin, die 28-jährige Zeina erläutert auf dem Band: "Ich wollte sie immer dabei haben, weil ich mir mit den Dingen, die ich darin aufhob, die Zeit vertreiben konnte."

Objects of war
Lamia Joreige: Objects of war (Miss Piggy-Tasche), Foto 2003Bild: Lamia Joreige

Verpasste Zeit, verfehlte Zeit, Stillstand: Zeitbezüge ganz unterschiedlicher Art bestimmen das Gesamtbild der Schau. Insofern verwundert es nicht, dass neben dem Video auch die Fotografie eine Hauptrolle spielt. Walid Raad und Akram Zaatari gehören der "Fondation Arabe pour l'Image" an, die in Beirut erstmals ein Archiv für Gebrauchsfotografie aufbaut. Ganze Stapel alter Porträts und Gruppenfotos von Militärs haben die beiden zu Mosaiken arrangiert oder als DVDs zu einem Film verschmolzen. Sie zeugen von unterschiedlichsten Formen der Identitätsbildung im privaten, aber auch im öffentlichen Raum arabischer Nationen. "DisORIENTation ist ein Projekt gegen alle Hindernisse, eine Plattform von Begegnungen", heißt es im Gesamtkonzept der Ausstellung.