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Abgang eines Urgesteins

13. November 2007

Franz Müntefering galt er in der SPD lange als Traditionalist und Parteisoldat. Dann übernahm er Regierungsverantwortung – und wurde zum knallharten Reformer und Befürworter von Schröders Agenda-Politik.

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Franz Müntefering, Quelle: AP
Unzertrennlich: Franz Müntefering und seine SPDBild: AP

Der Abgang Franz Münteferings kommt überraschend: Denn es ist noch nicht einmal zwei Monate her, da er angab, mindestens bis zum 70. Lebensjahr als Politiker weiterzumachen. Wenige Wochen später bekannte der 67-Jährige: "Ich bin gerne Vizekanzler und Minister." Mit seinem plötzlichen Rücktritt sind diese Worte nur noch Schall und Rauch. Die Karriere eines Zugpferdes der großen Koalition nimmt ein jähes Ende.

"Münte" gab familiäre Gründe für seinen Entschluss an. Seine Ehefrau leidet an Krebs. Allerdings war es in den vergangenen Wochen in der Partei einsamer um den früheren Vorsitzenden geworden. Im Ringen um Abstriche an der Reformagenda 2010 warnte er die SPD vor einen Rückfall in die Zeiten sozialistischer Ausgabenpolitik. Als Fall in den Rücken musste er die Aussage von Ex-Kanzler Gerhard Schröder empfunden haben, die Agenda seien nicht die "zehn Gebote, und niemand, der daran mitgearbeitet hat, sollte sich als Moses begreifen".

Der Heuschrecken-Vater

Schlagzeilen auch im Ausland machte Müntefering zwar mit seinem Wettern gegen einige Finanzinvestoren, die er als "Heuschrecken" bezeichnete. Doch es war Müntefering, der die Reformen gemeinsam mit Schröder gegen massive Proteste der Gewerkschaften durchgeboxt hatte. Als er sich gegen die Pläne von SPD-Chef Kurt Beck stemmte, das Arbeitslosengeld I für Ältere länger auszuzahlen, blieb er allein auf weiter Flur. Den Machtkampf gewann Beck, dem die Basis auf dem Parteitag Mitte Oktober folgte.

Franz Müntefering mit Frau Ankepetra, Quelle: dpa
Franz Müntefering mit Frau AnkepetraBild: picture-alliance/ ZB

Demütigungen erfuhr er in der SPD schon früher: Müntefering übernahm im März 2004 den SPD-Vorsitz von Schröder. Eineinhalb Jahre danach trat er zurück, weil er seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel nicht als Generalsekretär durchdrücken konnte. Der Parteivorstand wählte die Linke Andrea Nahles. Sie nahm die Wahl aber nicht an, Generalsekretär wurde Hubertus Heil.

Von ganz unten nach ganz oben

Müntefering ist ein Vollblut-Sozialdemokrat, der sich von ganz unten nach ganz oben gekämpft hat. Sein Weg führte ihn aus einer katholisch geprägten Arbeiterfamilie über acht Jahre Volksschule und eine Lehre zum Industriekaufmann bis an den Kabinettstisch. Im politischen Tagesgeschäft wirkt er prägnant und sachorientiert. Einer, der sich nicht anbiedert, in kurzen Sätzen spricht und weiter denkt als andere. Reden und denken hingen zusammen, sagte Müntefering einmal. Wer in zu langen Sätzen rede, sei häufig im Kopf nicht klar.

Müntefering hat in seiner Karriere zahlreiche politische Ämter bekleidet. Er war Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, wurde Bundesverkehrsminister, dann Vorsitzender der SPD-Fraktion und schließlich Minister. Sein Aufstieg in der Partei ging gradlinig vonstatten. Als Bundesgeschäftsführer baute er 1997 die berühmte Wahlkampfzentrale "Kampa" auf. Ein Jahr später zog Schröder ins Kanzleramt ein.

Antreiber für Schröder

Müntefering und Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Quelle: AP
Koch und Kellner: Müntefering und Ex-Kanzler Gerhard SchröderBild: AP

Im politischen Alltagsgeschäft war Müntefering durchsetzungsfähig, auch wenn er zunächst selbst überzeugt werden musste: Als SPD-Fraktionschef im Bundestag half er maßgeblich mit, die auch in den eigenen Reihen umstrittenen Hartz-Gesetze durchzusetzen. Nach der Wahl 2005 trieb er die Bildung der großen Koalition voran. An der Agenda 2010 wollte er unbedingt festhalten.

Obwohl er die Agenda verteidigte, hat Arbeitsminister Müntefering diese Legislaturperiode vor allem dazu genutzt, Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose, Jugendliche und Ältere zu machen. Die Merkel-Regierung legte auf seine Initiative hin mehrere Kombilohnprogramme auf. Er initiierte einen Zuschuss für Arbeitnehmer mit Niedriglöhnen, will den gesetzlichen Mindestlohn und hat noch in der Nacht zum Dienstag erreicht, dass die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere mit intensiver Arbeitsvermittlung gekoppelt wird. (tos)