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A14 - bei Halle

Marcus Bösch14. Juli 2004

Schön hier auf der Autobahn. DW-WORLD nähert sich einem deutschen Mythos. Von Kraftwerks musikalischer Hymne bis zur schönen kargen Landschaftsfotografie Hans-Christian Schincks.

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Blühende Landschaften?Bild: Hatje Cantz


"Vor uns liegt ein weites Tal - die Sonne strahlt mit Glitzerstrahl." Die schönste Annäherung an den deutschen Mythos Autobahn gelingt der Band Kraftwerk 1974. Wenige Wochen nach dem Ende der Ölkrise und der Aufhebung des sonntäglichen Fahrverbots pressen sie ein 23 Minuten langes Stück Musik auf eine Vinylschallplatte. "Autobahn" handelt von dem transzendenten Gefühl des Aufbruchs und dem eingelösten Versprechen von Mobilität.

Ambivalente Schönheit

Verkehrsprojekte
A 14 - Saalebrücke BeesedauBild: Hatje Cantz

Auch die Fotografien von Hans-Christian Schinck handeln vom Aufbruch, der Autobahn und einem Versprechen. Fast zehn Jahre lang hat der Erfurter Fotograf die gewaltigen Verkehrsprojekte in den neuen Bundesländern nach 1990 porträtiert. Sein Bildband mit dem schlicht programmatischen Titel "Verkehrsprojekte" zeigt was aus den versprochenen blühenden Landschaften geworden ist. Blümchen wiegen sich hier nicht am Wegesrand. Schinck zeigt eine karge Landschaft unter leerem Himmel.

Nüchtern arrangiert sehen wir Autobahnbrücken, gigantische Stützpfeiler aus Beton und glatten Asphalt, der sich im Fluchtpunkt verliert. "Was mich am meisten fasziniert, grundsätzlich für meine Arbeit, sind Dinge die ambivalent sind. Gegenstände, die in der Regel nicht als schön gelten, denen ich aber Bilder abgewinnen kann, die als Bilder dann Schönheit transportieren", sagt Schinck. Sein Thema: die Umbrüche und transitorischen Verhältnisse im Osten der Nachwendezeit.

Monumentale Leere

Verkehrsprojekte
A14 - bei HalleBild: Hatje Cantz

Hier, zwischen Brachflächen und Nutzlandschaft - Wörter, die man sich auf der Zunge zergehen lassen kann - zeigt Schinck einen Zwischenzustand. Eine fast sichtbare Stille dominiert die Szenerie. Keine Menschen, keine Baumaschinen und keine Autos sind zu sehen. Schinck präsentiert die monumentale Leere vor dem Startschuss. Bevor es losgeht. Bevor der Verkehr losbricht und alles überrollt.

Natürlich kann man dem Absolventen der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst schnöde Landschaftsfotografie unterstellen. Aber Schincks mit Großbildkamera aufgenommene Bilder bieten mehr als den möglichst neutralen Blick auf die Peripherie des Urbanen. Seine schlichten Fotografien fordern eine unbedingte Reaktion des Betrachters. Melancholie des Verlusts oder mobiler Aufbruch lautet eine der Fragen, die sein Projekt aufwirft.

11.000 Kilometer Mythos

Seit der Wiedervereinigung zerteilen nun mehr als 11.000 Kilometer Autobahn die gesamte Bundesrepublik. Private Homepageanbieter aus aller Welt lobpreisen den Mythos, schwärmen vom Geschwindigkeitsrausch und deutscher Perfektion. Das Versprechen von Aufbruch und Mobilität bleibt weiter bestehen. Seit 1909 das weltweit erste Stück Autobahn in Berlin geplant wurde. Spätestens wenn man den Schüssel umdreht und einfach losfährt. Besseres als "Autobahn" von Kraftwerk hat man zum Thema bisher nicht gehört. Besseres als Schincks "Verkehrsprojekte" hat man bisher nicht gesehen.

Verkehrsprojekte
A 71 - Brücke MolsdorfBild: Hatje Cantz

Hans-Christian Schink, Verkehrsprojekte, Hatje Cantz Verlag, ISBN 3-7757-1425-1