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Gut bis mangelhaft

Rolf Wenkel13. Januar 2009

Die große Koalition hat das größte Konjunkturprogramm der deutschen Nachkriegsgeschichte auf den Weg gebracht. Rund 50 Milliarden Euro sollen die Rezession abmildern. Ein mutiger Entwurf, meint Rolf Wenkel.

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Rolf Wenkel

Als die Bundesregierung Ende vergangenen Jahres zum ersten Mal mit dem Holzhammer auf den Lukas gehauen hat, ist der Zeiger bei "Schwächling" stehen geblieben. Das hat sie damals wohl selbst eingesehen. Nun haben sich die Spitzen der Regierungskoalition geeinigt, Nägel mit Köpfen zu machen: 50 Milliarden Euro wollen sie in den nächsten beiden Jahren in die Hand nehmen, um die Rezession abzumildern und der Konjunktur einen belebenden Impuls zu geben.

Schulnoten

Wollte man den verschiedenen Einzelmaßnahmen Schulnoten geben, kämen Noten zwischen "gut" und "mangelhaft" heraus. Allein das von der großen Koalition beschlossene Investitionsprogramm, das vor allem Ausgaben in Bildungseinrichtungen vorsieht, umfasst rund 18 Milliarden Euro. Das ist mutig, das ist richtig – und verdient die Note gut. Denn Länder und Kommunen schieben einen gewaltigen Investitionsstau vor sich her, der jetzt aufgelöst werden kann, sie brauchen ihre längst fertigen Pläne nur aus der Schublade zu holen. Das bedeutet: Diese Maßnahmen können relativ zeitnah verwirklicht werden und so tatsächlich einen konjunkturellen Impuls bewirken.

Zudem verzichtet der Staat künftig auf rund neun Milliarden Euro an Steuereinnahmen, um die Bürger und Unternehmen zu entlasten und Konsumanreize zu geben. Der Eingangssteuersatz wird geringfügig gesenkt, die Grenze für das steuerfreie Jahreseinkommen wird angehoben. Dies ist allerdings eine längst überfällige Maßnahme, mit der die so genannte kalte Progression eingegrenzt wird, jener unseliger Zustand, dass der Staat mit steigenden Steuersätzen zulangt, wenn die Arbeitnehmer mehr verdienen. Aber das hätte auch ohne den konjunkturellen Notstand irgendwann in Angriff genommen werden müssen und verdient deshalb die Note befriedigend.

Entlastung für Rentner und Geringverdiener

Als unmittelbare Entlastung nicht nur für Unternehmen und Steuerzahler, sondern auch für Rentner und Geringverdiener ist die Senkung der Beiträge zur Krankenversicherung zu sehen. Das kostet den Staat weitere neun Milliarden Euro und verdient die Note gut, obwohl klar ist, dass der Staat die defizitären Sozialsysteme nicht auf Dauer dermaßen massiv alimentieren kann.

Problematisch ist allerdings der umstrittene Schutzschirm für Unternehmen. Hier handelt es sich um Finanzierungshilfen wegen der schleppenden Kreditvergabe der Banken, nicht aber um den Einstieg in die Kapitalbeteiligung des Staates an Unternehmen. Damit ist zwar der von vielen befürchtete Einstieg in eine Staatswirtschaft vom Tisch - doch wenn die Unternehmen diese Bürgschaften in Anspruch nehmen, könnte das den Staat noch teuer zu stehen kommen. Das entzieht sich einer klaren Notenvergabe.

Note "überflüssig"

Andere Maßnahmen verdienen bestenfalls die Note mangelhaft oder, wenn es diese Schulnote gäbe, das Prädikat überflüssig. Eine Prämie von 100 Euro pro Kind wird die Bürger vermutlich nicht in einen Konsumrausch versetzen, und eine Verschrottungsprämie für Autos, die älter als neun Jahre sind, bevorzugt einseitig die Automobilindustrie, wobei noch nicht einmal sicher ist, dass es die deutsche und nicht die französische oder japanische ist, die da bevorzugt wird.

Trotz allem kann man das Gesamtpaket als einen mutigen Entwurf bezeichnen. Mutig nicht nur, weil es sich um das größte Konjunkturpaket der deutschen Nachkriegsgeschichte handelt, sondern auch, weil der Staat seine Steuerbasis schmälert und damit einen Teil seiner Handlungsfähigkeit aufs Spiel setzt. Mutig auch, weil er damit den Schuldenrekord von 40 Milliarden Euro aus dem Jahr 1996 deutlich übertrifft und die Schuldenhürde des Maastricht-Vertrages klar reißt. Mutig sind die Selbstbewussten, die auf eine bessere Zukunft hoffen – mutig sind aber auch oft die Verzweifelten. Die Zeit wird zeigen, woher dieser Mut gekommen ist.