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15 Minuten Tageslicht

Nina Werkhäuser5. Juni 2012

Unter schwierigen Bedingungen behandeln deutsche Ärzte die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko in der Ukraine. Einige Verbesserungen konnten sie durchsetzen. Doch tiefes Misstrauen gegenüber Kiew bleibt.

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Julia Timoschenko (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Für einen Moment verdunkelt sich das Gesicht von Anett Reißhauer. Die Berliner Ärztin berichtet von ihrem Besuch bei Julia Timoschenko, die in Charkiw im Osten der Ukraine inhaftiert ist. Ihr Zimmer im 9. Stock des Krankenhauses sei ordentlich ausgestattet, aber die Fenster seien abgeklebt. Die Ärztin konnte durchsetzen, dass die frühere ukrainische Ministerpräsidentin täglich 15 Minuten lang die Sonne sehen darf, und zwar in einem Therapieraum. "Aber auch dort ist das Fenster so umgebaut worden, dass man keinen Blick in das Gelände werfen kann", sagt Reißhauer, die am Berliner Krankenhaus Charité den Bereich Rehabilitationsmedizin leitet. Sie gehört zu dem Ärzteteam, das Timoschenko seit einigen Wochen in der Ukraine behandelt.

Unter ständiger Beobachtung

"Bedrückend" nennen die Berliner Ärzte die Umstände, unter denen sie Julia Timoschenko in Charkiw medizinisch versorgen: Permanent seien Videokameras auf sie gerichtet und Wachleute im Raum. "Wir haben durchgesetzt, dass die Kameras während der Visite an ihrem Krankenbett abgeklebt werden", sagt Professor Karl Max Einhäupl, der Leiter der Berliner Charité, "dennoch hat Frau Timoschenko Sorge, dass es weitere Kameras geben könnten." Unter diesen Bedingungen sei es für die Ärzte schwierig, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrer prominenten Patientin aufzubauen.

Weniger Schmerzen

Trotz allem gibt es Fortschritte: Frau Timoschenkos Gesundheitszustand habe sich seit Beginn der Behandlung deutlich verbessert. "Die Schmerzen sind besser geworden, ihre Beweglichkeit hat zugenommen und sie kann mehrere Stunden am Tag das Bett verlassen", sagt Einhäupl. Er bezweifelt aber, dass unter den gegebenen Umständen eine vollständige Heilung möglich sein wird.

Die Oppositionsführerin leidet seit einem Bandscheibenvorfall im Oktober 2011 unter starken Schmerzen und konnte sich kaum noch bewegen. Aus Protest gegen die unzureichende medizinische Behandlung im Gefängnis trat die 51-jährige im Frühjahr für drei Wochen in den Hungerstreik. Die Bundesregierung und deutsche Ärzte boten ihre Hilfe an, die von der ukrainische Seite schließlich akzeptiert wurde.

Karl Max Einhäupl, Leiter der Berliner Charité (Foto: dapd)
Professor Karl Max Einhäupl, Leiter der Berliner CharitéBild: AP

Tiefes Misstrauen

Julia Timoschenko, die in einem politisch motivierten Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, misstraut ukrainischen Ärzten im Staatsdienst zutiefst. So lässt sie sich zum Beispiel kein Blut abnehmen, da sie fürchtet, dabei vorsätzlich mit einer Krankheit infiziert zu werden. Im Mai sei Timoschenkos Krankenakte im ukrainischen Fernsehen gezeigt worden, berichtet Einhäupl. "Ihr Misstrauen ist aus ärztlicher Sicht gut nachvollziehbar." Den Berliner Ärzten vertraue sie und nehme auch Medikamente von ihnen an, die diese aus Deutschland mitgebracht hätten. "Ihre Resignation ist teilweise verflogen und ihre Stimmung besser", fasst Einhäupl die Ergebnisse der Behandlung zusammen.

Timoschenko habe den Wunsch geäußert, nach Kiew verlegt und unter Hausarrest gestellt zu werden, berichtet Einhäupl. "Diese Forderung unterstützen wir, weil wir sie in der Hauptstadt leichter behandeln könnten." Der Leiter der Charité hofft, dass die deutschen Ärzte Timoschenko weiter helfen dürfen, auch nach der Fußball-Europameisterschaft. Und er appelliert an die ukrainischen Behörden, auch anderen inhaftierten Politikern, etwa dem früheren Innenminister Juri Luzenko, eine angemessene medizinische Behandlung zukommen zu lassen.