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Unbequeme Erkenntnisse

Verica Spasovska29. Mai 2008

Die Geschichte des deutsch-türkischen Zusammenlebens ist eine von Licht und Schatten, der düsterste Schatten war der Brandanschlag vor 15 Jahren in Solingen. Aber es gibt positive Entwicklungen, meint Verica Spasovska.

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Bild: DW

Der fremdenfeindliche Anschlag von Solingen am 29. Mai 1993 hat sich so tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ihn völlig zu Recht als "Teil unserer Erinnerungskultur" bezeichnete. "Unserer" meint damit die der deutschen Gesellschaft und der zweieinhalb Millionen Türken, die heute in Deutschland leben.

Öl ins Feuer

Verica Spasovska, Quelle: DW
Verica Spasovska

Wie empfindlich und misstrauisch die Türken in Deutschland auch 15 Jahre nach dem Anschlag von Solingen reagieren, hat das schreckliche Brandunglück vor wenigen Monaten in Ludwigshafen gezeigt bei dem ebenfalls mehrere Menschen ums Leben kamen. Es hatte aber im Gegensatz zu Solingen mit großer Wahrscheinlichkeit keinen fremdenfeindlichen Hintergrund. Die Kampagne türkischer Medien in Deutschland, die vorschnell Schuldzuweisungen an die deutsche Seite richteten, hatte zusätzlich Öl in Feuer gegossen. Die daraufhin entbrannte, wochenlange heftig geführte Integrationsdebatte warf ein Schlaglicht auf das schwierige Verhältnis zwischen der deutschen Gesellschaft und ihrer größten Migrantengruppe.

Die Diskussion zeigt klar: Beide Seiten, Deutsche und Türken in Deutschland, müssen sich weiter aufeinander zu bewegen und dabei ein paar unbequemen Erkenntnissen ins Auge schauen: Die deutsche Gesellschaft muss endlich akzeptieren, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, das hat sie viel zu lange verdrängt. Und sie muss die Bildungsmisere der Mehrheit der türkischen Kinder endlich in den Griff bekommen.

Pflichten auf beiden Seiten

Spätestens seit der Pisa-Studie wissen wir, dass die schlechten Bildungschancen der türkischen Migrantenkindern ihre Ursache vor allem in den sozialen Unterschieden haben. Denn Kinder, die aus Elternhäusern kommen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft wenig Wert auf Bildung legen, haben von vorneherein wenig Aussicht auf beruflichen Aufstieg. Die deutsche Gesellschaft muss die Bildungschancen der türkischen Migrantenkinder intensiver vorantreiben, indem sie zum Beispiel auf einem obligatorischen Vorschuljahr besteht, um Defizite wie fehlende Sprachkenntnisse frühzeitig zu beheben. Auch Ganztagsschulen fördern das selbstverständliche Miteinander von türkischen und deutschen Kindern. Und: Deutschland muss darauf bestehen, dass der Islamunterricht im Rahmen der staatlichen Lehrpläne durchgeführt wird.

Auf der anderen Seite müssen die türkischen Migranten in Deutschland akzeptieren, dass Integration das Ziel ist. Nicht Abgrenzung, sondern Einbindung in die deutsche Gesellschaft und das Akzeptieren ihrer Regeln, etwa den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau, muss selbstverständlich sein. Und wer dauerhaft in Deutschland leben will, muss bereit sein, Deutsch zu lernen. Denn das Beherrschen der deutschen Sprache ist der Schlüssel zum beruflichen Aufstieg. Wer gut Deutsch spricht, findet leichter Arbeit als jemand mit schlechten Sprachkenntnissen. Schließlich müssen die zahlreichen türkischen Medien in Deutschland die Mitverantwortung für die Integration übernehmen. Die Berichterstattung nach Ludwigshafen war alles andere als ein Ruhmesblatt.

Hartes Stück Arbeit

All das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den vergangenen Jahren auch viele sinnvolle Versuche unternommen wurden, um das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken zu verbessern. Der regelmäßig stattfindende Integrationsgipfel, der relevante Vertreter deutscher und türkischer Gruppen an einen Tisch bringt, ist ein Beispiel. Die vielen Moscheen, die allerorten in Deutschland gebaut wurden, ein anderes.

Das friedliche und tolerante Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken in Deutschland bleibt zweifellos ein hartes Stück Arbeit. Aber der Gewinn, den beide Seiten aus der Vielfalt der unterschiedlichen Kulturen ziehen können, lohnt sich allemal. Wer sich davon überzeugen möchte, sollte einen Blick auf die beeindruckenden Erfolgsgeschichten von türkischen Migranten in Deutschland werfen. Auch diese sind eine Facette des deutsch-türkischen Verhältnisses.