1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Bisher ist nicht viel passiert"

Rodion Ebbighausen8. Juli 2016

Im November 2015 hat die Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) die Wahlen in Myanmar gewonnen. Im März 2016 hat Aung San Suu Kyis Partei die Regierungsgeschäfte übernommen. Zeit für eine erste Bilanz.

https://p.dw.com/p/1JKAV
Aung San Suu Kyi Myanmar Staatsberaterin Regierungschefin
Bild: Getty Images/AFP/N. Sangnak

Deutsche Welle: Seit 100 Tagen ist Aung San Suu Kyis NLD an der Macht. Was ist seither passiert?

Robert Taylor: Die Regierung wurde gebildet und mehrfach wieder umgebildet. Auf allen Ebenen der Verwaltung und Politik wurden Posten vergeben. Zugleich hat die Regierung eine Reihe von Kommitees eingerichtet, die ganz verschiedene Aufgaben haben. Das ist es aber bisher. Konkrete Ergebnisse gibt es noch keine. Nach wie vor ist von der Bekanntmachung der Wirtschaftspolitik und von der sogenannten zweiten Panglong-Konferenz die Rede. Insgesamt also ein "work in progress". [Anm. d. Red.: Auf der ersten Panglong-Konferenz 1947 hatte Aung San mit einigen, aber längst nicht allen ethnischen Minderheiten eine Art Rahmeneinigung abgeschlossen, die das zukünftige Zusammenleben der verschiedenen Völker nach der Unabhängigkeit regeln sollte.]

Keine konkreten Ergebnisse. Ist die neue Regierung zu langsam?

Hans-Bernd-Zöllner: Die Regierung ist nicht langsam, wenn wir uns ihr eigentliches Ziel vor Augen führen. Sie möchte nicht weniger als Myanmar neu erfinden. Das ist es auch, was die Menschen erwarten. Es geht darum, dass Aung San Suu Kyi vollendet, was ihr Vater Aung San nicht mehr konnte, da er ein Jahr vor der Unabhängigkeit ermordet wurde. Als sie 1988 zum ersten Mal die politische Arena betrat, sagte sie den vielzitierten Satz: "Diese nationale Krise könnte man in der Tat den zweiten Kampf für die Unabhängigkeit nennen."

Das ist, was die Menschen von der Regierung erwarten: Einen umfassenden Neuanfang wie damals nach dem Ende der Kolonialzeit. Das ist natürlich nicht möglich. Und 100 Tage sind für einen derartigen Anspruch nicht viel Zeit. Entscheidender ist die Frage: Was wird sich tatsächlich ändern und was wird bleiben, wie es ist?

Die jetzige Regierung hat den angestrebten Wandel immer mit dem Schlagwort "Demokratie" bezeichnet. Wird der Begriff inzwischen mit Leben gefüllt?

Hans-Bernd Zöllner
Hans-Bernd ZöllnerBild: privat

Hans-Bernd Zöllner: Der erste Schritt dafür ist die bereits erwähnte zweite Panglong-Konferenz. Von der ist seit langem die Rede. Mindestens seit 2010, kurz nachdem Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest entlassen wurde. Das ist der entscheidende Ansatz der NLD, um das Land zu erneuern.

Robert Taylor: Aber eines der Probleme ist, dass diese Konferenz in den letzten fünf oder sechs Jahren zwar immer wieder diskutiert worden ist, aber nur sehr wenig getan wurde, um sie konkret vorzubereiten. Das ist eines der grundlegenden Probleme der neuen Regierung. Als sie im November gewählt wurde, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie sich besonders sorgfältig auf die Zeit im Amt vorbereitet hatten. Deswegen kommt es - zumindest unserer Wahrnehmung nach - zu Verzögerungen. Die Vorbereitungen, die man von einer Oppositionspartei erwartete, wurden damals nicht getroffen. Das ist es auch, was mich bezüglich der zweiten Panglong-Konferenz beunruhigt. Es geht darum, mehr als 20 ethnischen Gruppen den Frieden zu bringen. Jede dieser Gruppen hat eine eigene Agenda, eigene Interessen und eine eigene Position. Die Gruppen innerhalb von zwei oder drei Tagen zu einer Vereinbarung zu bewegen, halte ich für äußerst schwierig.

Ist der Friedensprozess denn das entscheidende Problem, das zuerst angegangen werden muss?

Robert Taylor
Robert TaylorBild: R. Taylor

Rober Taylor: Das Parteiprogramm der NLD artikulierte drei sehr weite Begriffe: Frieden, Demokratie und Wohlstand. Und Frieden wurde dabei an erste Stelle gesetzt. Und das ist wahrscheinlich auch richtig so. Das Land hat seit der Unabhängigkeit 1948 mit Bürgerkriegen zu kämpfen. Es muss einen Weg finden, das zu beenden.

Hans-Berd Zöllner: Alle anderen Themen, wie etwa die wirtschaftliche Entwicklung, die manche im Westen zur obersten Priorität erheben, sind sehr eng mit dem Frieden verknüpft, denn viele Ressourcen des Landes sind in Regionen zu finden, die zumindest teilweise von ethnischen Armeen kontrolliert werden. So etwa im Shan- oder Kachin-Staat. Alles hängt vom Frieden ab.

Sie haben Skepsis geäußert, dass zwei Tage genug sind, um ein Friedensabkommen zu erreichen. Mit wie viel Zeit rechnen Sie?

Robert Taylor: Mit einiger Sicherheit kennen wir ja nur die Vergangenheit. Letzten November hat die Vorgängerregierung ein Waffenstillstandsabkommen mit acht bewaffneten Gruppen abgeschlossen. Danach sollte dann der politische Dialog beginnen, der auch Fragen zur Änderung der Verfassung und einiger anderer Punkte adressieren sollte, damit der Bürgerkrieg nicht wieder aufflammt. Bis zu diesem Punkt hat es fünf Jahre gedauert. Und ich vermute, dass es ebenfalls fünf Jahre dauert, einen ähnlichen Deal mit den Gruppen abzuschließen, die bei der ersten Runde nicht dabei waren. Und wenn es um alle 27 Gruppen geht, dann vielleicht auch zehn Jahre. Wir sprechen hier von einem extrem komplizierten Projekt, in dem alle beteiligten eine andere Sprache sprechen und völlig andere Ansichten vertreten, auch wenn es um ein und dieselbe Sache geht.

Hans-Bernd Zöllner: Wenn es der NLD gelingt, irgendeine Form von Einigung zu erzielen, wird das vor allem ein symbolischer Akt sein. Darum geht es in erster Linie bei der Konferenz. Und viele werden damit zufrieden sein. Die Politik der NLD und insbesondere von Aung San Suu Kyi war in der Vergangenheit vor allem Symbolpolitik, schon allein deshalb, weil das Militär der Opposition keine andere Möglichkeit gelassen hat. Ein symbolischer Akt ist meiner Ansicht nach nicht wenig, wenn man die ganzen von Robert Taylor bereits erwähnten Schwierigkeiten bedenkt.

Aber man kann ein Land nicht mit Symbolpolitik allein regieren.

Hans-Bernd Zöllner: Das wäre natürlich nur ein Anfang, aber immerhin ein Anfang.

Kommen wir zurück zur Partei. Aung San Suu Kyi ist 71 Jahre alt. Gibt es innerhalb der Partei Vorbereitungen für einen Machttransfer?

Robert Taylor: Natürlich gibt es Personen, die als ihr Nachfolger angesehen werden. U Htin Kyaw beispielsweise, der zum Präsidenten gewählt wurde bzw. von ihr zum Präsidenten gemacht wurde. Und es gibt in der Partei noch einige andere, die Ambitionen haben. Allerdings gibt es noch keine Anzeichen für einen organisierten Machttransfer. Vielleicht denkt Aung San Suu Kyi, dass es dafür noch zu früh ist. Aber das ist nur eine Vermutung.

Hans-Bernd Zöllner: Nach allem, was wir bisher aus Myanmar kennen, ist zu befürchten, dass die Partei zerfallen wird, sobald Daw Aung San Suu Kyi sie nicht mehr anführt. Das ist eine gewaltige Herausforderung und ein großer Unsicherheitsfaktor mit Blick auf die Zukunft des Landes. Bis heute laufen alle Fäden bei ihr zusammen.

Robert Taylor: Ohne Zweifel.

Robert Taylor ist einer der führenden Experten, wenn es um die Politik in Myanmar geht. Er hat mehrere Bücher und Dutzende Artikel über das Land veröffentlicht. Zuletzt erschien seine Biographie über General Ne Win, der das Land über Jahre regiert hat.

Hans-Bernd Zöllner arbeitet seit mehr als drei Jahrzehnten über Myanmar. Er veröffentlichte ein umfassendes Buch über Aung San Suu Kyi und das Militär in Myanmar. Zuletzt erschien eine politische Biographie über Aung San Suu Kyi.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.