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Über beides reden: Frieden und Umwelt in Kenias Norden

Maja Dreyer20. April 2006

Dürre und Hunger - damit ist der Norden von Kenia in den Schlagzeilen. Jahrzehntelang kämpften die Nomadenvölker um Gras und Wasser. Maja Dreyer berichtet über einen Friedensprozess, von dem auch die Umwelt profitiert.

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Kaum noch zu zählen: Tierkadaver vor El-GadeBild: Maja Dreyer

Ziegenkadaver, so weit das Auge reicht. Überall liegen sie auf dem harten Sand rund um den Ort El-Gade. Die Menschen hier kommen mit dem Zählen kaum nach: "Ganz sicher bin ich mir nicht, aber wir haben vielleicht noch 50 Ziegen übrig", berichtet ein Viehhirte. Und vorher? "Da hatten wir zwei Herden, also etwa 1000 Tiere."

Hier oben, im trocken-heißen Norden von Kenia ist Viehhaltung die einzige Möglichkeit, das Savannenland zu nutzen. Eigentlich gibt es zwei Regenzeiten im Jahr, aber nun hat es fast ein Jahr lang gar nicht geregnet.

Knappe Ressourcen

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Desertifikation von obenBild: Maja Dreyer

Die Trockenheit ist kein neues Phänomen. Schon seit Jahrzehnten werden die Dürreperioden länger, das Wasser knapper. Damit veränderte sich auch das Leben der Hirtenvölker, berichtet Daniel Damocha, der selbst als Nomadenkind geboren wurde: "Früher waren hier alle Stämme reine Nomaden. Aber nach und nach sind sie sesshaft geworden." Schulen, Kliniken und nicht zuletzt die Versorgung mit Nahrungsmittelhilfe haben die Familien in die Zentren gelockt.

Die Folge: Rund um die Siedlungen gingen die grünen Oasen als Brenn- und Bauholz verloren und die jugendlichen Viehhirten müssen immer weitere Wege zwischen Wasserquellen und Grasland zurücklegen. Doch lange Zeit waren die täglichen Wanderungen eine gefährliche Angelegenheit: Überfälle, Diebstähle und Racheakte waren an der Tagesordnung. Allein im Bezirk Marsabit, der von dem transkontinentalen Highway von Kairo nach Kapstadt durchkreuzt wird, teilen sich acht ethnische Gruppen das karge Land – und jede kämpfte ums Überleben.

Neue Kooperationen

Ein Beispiel für solch eine Nachbarschaft sind die Gabra und die Dassanetch, die nebeneinander am Turkana-See leben. Jahrzehntelang haben sie sich bekriegt – um Wasserquellen, um Land – oder um entlaufendes Vieh, wie im Jahr 1997, als die Fehde mit einem brutales Massaker in einer Gabra-Siedlung seinen Höhepunkt erreichte.

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Wichtiges Nahrungsmittel: KamelmilchBild: Maja Dreyer

"Ja, unsere Leben früher, das war wie das von Hund und Katze", sagt Yatlani Racha, ein Gabra, während sein Sitznachbar zur linken, ein Dassanetch, dazu nickt. Die Männer hocken friedlich nebeneinander unter einem Baum, der zwischen zwei Lagern der beiden Stämme liegt. Sie haben sich hier mit den jungen Hirten und einigen Frauen aus den Dörfern zu ihrem bereits vierten Friedensgespräch getroffen.

Mit dabei sind einheimische Mitarbeiter der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, GTZ. Vor 15 Jahren schon kam die GTZ mit einem lokalen Umweltprojekt in den Bezirk Marsabit. In der Tasche: ausgearbeite Pläne deutscher Entwicklungsexperten mit Maßnahmen gegen Wüstenbildung und Hungerkatastrophen. Die lokalen Gemeinden sollten mit neu gebildeten Umweltkomitees in die Vorhaben eingebunden werden. Aber das Projekt lief nicht so recht an. "Als wir anfingen, mit den Gemeinden zu arbeiten, haben wir gesehen: Man kann zwar über Nahrungsplanung und Wasser reden, aber sobald ein Konflikt ausbrach, funktionierten die Pläne nicht", berichtet Guyo O’Hara, der das GTZ-Büro in Marsabit leitet. Den entscheidenden Anstoß gaben die Dorfältesten schließlich selbst. "Sie sagten, wenn ihr uns nur zusammenbringen könntet, alle Stämme, dann könnten wir ja über beides reden, über Frieden und die Umwelt", erinnert sich O’Hara.

Regeln statt Waffen

Für die GTZ war das zunächst ein risikoreiches Unterfangen. Plötzlich sollte die traditionell auf technische Entwicklungshilfe ausgelegte Organisation Aussöhnung betreiben. Beim ersten Treffen waren Vertreter von elf Regionen eingeladen. Guyo O’Hara: "Wir hatten furchtbare Angst. Als die Gruppen ankamen, waren sie alle wie Soldaten ausgestattet!"

Kenia Desertifikation Maja Dreyer - Friedensgespräche
Die Dassanetch und die Gabra bei FriedensgesprächenBild: Maja Dreyer

Aber die Gewehre und Macheten kamen nicht zum Einsatz. Statt dessen redeten die Stammesvertreter zum ersten Mal nach Jahrzehnte langen Kriegen miteinander und kamen dabei zu der Einsicht, dass sie eigentlich alle den gleichen Feind haben: den Mangel an Wasser und Gras. Für den gemeinsamen Kampf kamen nun aber neue Waffen zum Einsatz: Regelungen und Absprachen. Aus den usprünglichen Umweltkomitees wurden Friedenskomitees, die miteinander koordinierten, wer seine Herden wann wohin treibt. Wenn die Hirten eines Stammes auf ihrem Land nicht mehr genug Gras finden, melden sie sich bei den Nachbarstämmen und bekommen auf deren Gebiet Weideland und Wasserquellen zugewiesen.

Erste Erfolge: grüne Oasen

Die Maßnahmen haben das Leben der Viehhirten vollkommen verändert. Die Dassanetch und die Gabra treiben nun gemeinsam ihre Tiere in die wenigen Gegenden, wo noch Gras und Wasser zu finden ist. "Wir könnten hier bis zum Abend sitzen und würden nicht fertig werden, all die Vorteile aufzuzählen", berichtet einer der Hirten bei dem Friedenstreffen.

Aber das Treffen würde wohl nicht stattfinden, wenn es nicht immer noch Probleme gäbe. Stein des Anstoßes sind diesmal zwei Ziegen, die den Gabra entlaufen sind und nicht, wie es die Regelungen sagen, zurückgebracht wurden. Für solche Fälle gibt es Gesetze, wie der Diebstahl kompensiert wird.

Kenia Desertifikation Maja Dreyer Baumprojekt
Rot markiert: FällverbotBild: Maja Dreyer

Alle neuen Ortsstatute sind aufeinander abgestimmt, damit die Hirten nicht überall auf andere Verordnungen treffen. Die Regelungen wurden schon nach kurzer Zeit ausgeweitet, um das übermäßige Abholzen von Bäumen einzudämmen. Die Ergebnisse sind zum Teil erstaunlich. Herausstechendes Beispiel ist der Ort Korr, der seit einigen Jahren wieder umrahmt ist vom hellen Grün der Dornakazien, die dank Markierungen und Fällverbot auch ohne Anpflanzungsaktionen wieder gewachsen sind.

Die neue Dürre hat der Frieden nicht verhindern können. Aber mit ihm haben die Nomaden in Marsabit ein Werkzeug gefunden, um ihre hausgemachten Probleme selbst anzupacken. Das Beispiel Marsabit hat Schule gemacht: Die Komponente des Konfliktmanagements ist mittlerweile fester Bestandteil in vielen Einwicklungsprojekten der GTZ.