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Über Übersetzungen

23. Oktober 2009

Über Buchsortiersysteme, Literatur-Roboter oder Schriftsteller als Autofahrer: hier schreibt Thomas Böhm Kolumnen aus dem Lesealltag.

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Symbolbild Buchmanieren
Bild: DW

Es geschah auf der Pressekonferenz des Buchmessengastlandes China im vergangenen Juni: Die Simultandolmetscherin, die dabei war, die Ausführungen des Architekten zum Gastlandpavillon auf dem Messegelände zu übersetzen, empfand es wohl als zu schwach, als der Architekt sagte, dort würden natürlich auch Drachen zu sehen sein und ergänzte: "Echte Drachen".

Echte Drachen hatten die Chinesen dann doch nicht mit auf die Frankfurter Buchmesse gebracht, aber dennoch brannte es eine Weile zwischen Gastgeber und Gast lichterloh, bis man sich diplomatischerweise darauf verständigte, Opfer von Missverständnissen, mithin kulturellen Übersetzungsproblemen geworden zu sein.

Der Turm von Babel als Übersetzerworkshop

Das war in vielerlei Hinsicht klug und passt bestens in diesen Bücherherbst, der ein Herbst der Übersetzer ist, wurden doch Ulrich Blumenbach und Christian Hansen für ihre famosen Übersetzungen der jüngst erschienenen Jahrhundertromane Infinite Jest von David Foster Wallace und 2666 von Roberto Bolano gefeiert, als – um mit Albert Camus zu sprechen – kühne Angreifer auf den Turm von Babylon. Dieser Turm wurde längst in einen riesigen globalen Übersetzerworkshop verwandelt. Wer auf der gerade vergangenen Buchmesse erlebt hat, in welchen Sprachen Menschen welcher Nationalität miteinander gesprochen haben, konnte für Augenblicke den Glauben an die Menschheit wieder gewinnen. Die Zweifel kamen zurück, wenn man dann hinters Sofa in der Übersetzerwerkstatt blickte.

Sind Übersetzer schlechte Ehepartner?

Auf die Frage, wie man denn für die unglaubliche Anforderung des Simultanübersetzens trainieren würde, antwortete mir der Autor eines Handbuchs des Übersetzens, gängige Techniken seien, sich vor den laufenden Fernseher zu setzen und alles zu übersetzen, was gesagt wird. Oder still vor sich hin alles zu übersetzen, was der Ehepartner sagt.

Thomas Böhm, Programmleiter des Kölner Literaturhauses (Foto: Birgit Rautenberg)
Thomas Böhm, Programmleiter des Kölner LiteraturhausesBild: birgit rautenberg

Sind Übersetzerinnen und Übersetzer also schlechte Ehepartner? Ist diese Beobachtung der lebensweltliche Kern des Bonmots von George Bernhard Shaw: "Frauen sind wie Übersetzungen: die schönen sind nicht treu, und die treuen sind nicht schön". Ein Bonmot, von dem ich bisher immer dachte, es brächte die Frage nach der Nähe von Original und Übersetzung auf den Punkt. Aber wahrscheinlich hatte Paul Celan, der nicht nur ein großer Dichter, sondern auch ein großer Übersetzer war, recht mit seinem Satz: "Die Sprache schlägt nicht nur Brücken in die Welt, sondern auch die Einsamkeit."

Redaktion: Gabriela Schaaf