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Euro-Beschlüsse spalten Ökonomen

Lo/ul (afp/dpa)6. Juli 2012

Die Beschlüsse des EU-Gipfels aus der vergangenen Woche haben einen heftigen Streit unter deutschsprachigen Ökonomen ausgelöst. Gewinner seien die Banken. Verlierer die deutschen Steuerzahler.

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Symbolbild EU
Symbolbild EUBild: Getty Images

Mit einem offenen Protestbrief gegen die jüngsten EU-Beschlüsse haben 160 deutschsprachige Professoren für Unruhe - auch unter ihren Kollegen gesorgt. Der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer hatte den Aufruf zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts in München, verfaßt. Sinn ist als vehementer Verfechter eines harten Kurses gegen schwächelnde Euro-Länder bekannt. Die Kritik wird mit starken Worten vorgetragen. An die "lieben Mitbürger" ist der Aufruf gerichtet. Sie werden darin aufgefordert, die aus Sicht der Ökonomen falschen EU-Beschlüsse nicht mitzutragen.

Mit den Beschlüssen werde nicht der Euro gerettet, heißt es. Vielmehr würden sie den Gläubigern der Krisenbanken helfen. Das sei der falsche Weg: "Banken müssen scheitern dürfen." Profiteure seien Investoren an der Wall Street oder der Londoner City sowie marode europäische Banken. Die Beschlüsse hätten bisherige Grenzen überschritten und seien ein Einfallstor für eine größere Haftung. "Die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch. Wir sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge", heißt es in dem Appell.

"Deutschland kann sich überheben"

Die Ökonomen warnen in ihrem Aufruf, Deutschland könne sich überheben. "Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden", sagten sie mit Blick auf die Schulden von Banken. Deutschland und die soliden Länder würden gedrängt, ihre Haftungssummen immer weiter auszudehnen: "Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind dann vorprogrammiert. Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet", warnen die Ökonomen.

Die Staats- und Regierungschefs haben in der vergangenen Woche in Brüssel beschlossen, dass der dauerhafte Krisenfonds ESM - und damit der Steuerzahler - künftig Banken direkt unterstützen kann. Bislang muss das Geld an die Regierung des jeweiligen Landes überwiesen werden. Aber eine Bedingung dafür ist, dass es zunächst eine europäische Bankenaufsicht gibt, die Details sind bisher nicht ausgearbeitet. Deutschland haftet beim ESM bisher mit 190 Milliarden Euro. Wegen Klagen beim Bundesverfassungsgericht liegt er aber vorerst ohnehin auf Eis.

Proteste auf den Protestbrief

Die Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf den offenen Protestbrief der Professorenschar folgte unmittelbar. "Es geht hier überhaupt nicht um irgendwelche zusätzlichen Haftungen", sagte sie am Donnerstag in Berlin. Daher sollte sich jeder die Beschlüsse "wirklich gut anschauen und dann auch das berichten, was in diesen Beschlüssen steht". Die Haftungen für Banken seien genauso verboten nach den jetzigen Regelungen wie es die Haftungen für Staaten seien. "Und insoweit hat sich durch die Brüsseler Beschlüsse nichts geändert an der derzeitigen Situation."

Ökonomen unterschiedlichster Denkrichtungen haben unterdessen mit einer kritischen Stellungnahme auf den Protestbrief reagiert. Die Öffentlichkeit sei durch Ängste geprägt, die sich mehr aus unbestimmten Gefühlen als aus sachlichen Informationen speisten, heißt es darin. Es könne "nicht die Aufgabe von Ökonomen sein, mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu verunsichern", kritisierten die Autoren, zu denen Ex-Sachverständigenratschef Bert Rürup, der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, und der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, zählen.