"Ärzte ohne Grenzen" verlassen Afghanistan
1. August 2004Vor dem Hintergrund einer labiler werdenden Sicherheitslage in Afghanistan ist ist die Reaktion von "Ärzte ohne Grenzen" (Médiciens Sans Frontière, MSF) nachvollziehbar. Die ausgezeichnete Organisation begründete den Schritt mit der Ermordung von fünf ihrer Mitarbeiter. Die Taliban beschuldigten MSF für amerikanische Interessen zu arbeiten - zu Unrecht, erklärte die Organisation.
Viele Unsicherheitsfaktoren
Auch für die verbliebenen Hilfsorganisationen ist die Lage in Afghanistan schwierig. Im bisher friedlicheren Norden und Nordwesten nehmen die Auseinandersetzungen zu. Aggressoren sind nicht nur die Taliban. Nach Ansicht des in Deutschland lebenden afghanischen Politologen Rangin Dadfar Spanta steigt die Rivalität zwischen örtlichen Regionalführern, den "Warlords". "Die Allianzen verschieben sich. Viele Warlords stellen ihre Kooperation mit den USA ein und beginnen, sich gegenseitig zu bekämpfen", sagt Dadfar Spanta. Es komme dadurch immer wieder zu Sabottageakten.
Derzeit reorganisieren sich die Taliban im Land und gewinnen wieder an Macht. Zudem terrorisieren rivalisierende Drogenbosse die Bevölkerung, die Zentralregierung hat weder ausreichenden Polizei- noch Militärschutz, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. "Ärzte ohne Grenzen" hatten scharfe Vorwürfe gegen die afghanische Regierung gerichtet. Die habe bei der Aufklärung des tödlichen Anschlags auf die Helfer versagt.
Andere Organisationen zeigen Verständnis
Die Deutsche Welthungerhilfe zeigte großes Verständnis für den Entschluss von "Ärzte ohne Grenzen". "Wenn uns dieses Schicksal getroffen hätte, dann müssten wir zum Schutz der eigenen Leute über einen Abzug nachdenken", hieß es. Vorerst will die Organisation das Land nicht verlassen. "Wir arbeiten in langfristigen Projekten, das schafft Vertrauen", sagt Sprecher Ulrich Post. Man sei jedoch sensibler geworden. "Die Antennen sind ausgefahren, man tauscht sich vor Ort in informellen Netzwerken über die Sicherheitslage aus", so Post. Und so kommt es schon einmal vor, dass die Mitarbeiter das Haus bis zu einer Woche nicht verlassen, wenn Warnungen durchdringen.
"Ärzte ohne Grenzen" hatte der US-geführten Koalition in Afghanistan vorgeworfen, humanitäre Hilfe für ihre politischen und militärischen Ziele zu missbrauchen. Die Hilfe werde deswegen "nicht mehr als unparteilich und neutral angesehen". Die Welthungerhilfe begegnet dieser Entwicklung mit einem seit lange geltendem strikten Kooperationsverbot mit dem Militär. "Es gibt eine ganz klare Anweisung: Kein Kontakt mit dem Militär. Auch nicht mit der Deutschen Bundeswehr". Es sei schon vorgekommen, dass man amerikanisches Militär aus einem Büro der Welthungerhilfe verweisen mußte. Eine Garantie auf Sicherheit kann dennoch niemand geben.