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Steht ein Wechsel an?

5. Juli 2009

Bei der ersten Parlamentswahl in Bulgarien seit dem EU-Beitritt müssen die regierenden Sozialisten mit schweren Verlusten rechnen. Eine neue konservative Partei ist auf dem Vormarsch

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Blick auf Kathedrale in Sofia (Foto: AP)
Die Alexander Nevski Kathedrale ist ein historischer Ort für DemonstrationenBild: AP Photo

Die Glocken läuten auf dem zentralen Platz vor der Alexander Nevski Kathedrale in Sofia. Kurz vor der Parlamentswahl am Sonntag (05.07.2009) werden hier, wo bereits 1989 große Demonstrationen stattgefunden haben, blaue Fähnchen geschwenkt – das Symbol der "Blauen Koalition", einer Oppositionsvereinigung von Mitte-Rechtsparteien. "Die jetzige sozialistische Regierung führt uns in den Untergang. Wir hoffen, dass sich endlich etwas ändern wird, weil die Leute von den Lügen und der Unfähigkeit der Politiker schon müde sind", kritisiert die 55-jährige Radoslava.

Kampf gegen die Korruption

Das Land wird derzeit von einer Koalition aus der Sozialistischen Partei, der Partei der türkischen Minderheit und der Partei des ehemaligen Zaren regiert. Viele Bulgaren geben ihr die Schuld an der weit verbreiteten Korruption, der anhaltenden Kritik aus Brüssel und der Veruntreuung von EU-Geldern in Millionenhöhe.

Boiko Borissov
Boiko Borissov stellt sich gerne als Sheriff dar, der gegen die bösen Buben vorgehtBild: sofia.bg

Hoffnungsträger ist der Bürgermeister von Sofia, Boiko Borissov. Mit seiner neu gegründeten Partei GERB liegt er in den Umfragen inzwischen weit vor den Sozialisten – und auch bei den Europawahlen 2009 lag GERB mit 24,5 Prozent klar vor den regierenden Sozialisten mit 18,6 Prozent. Der Ex-Karatekämpfer Borissov und seine Partei wollen die Korruption bekämpfen. "Die Leute wollen Gerechtigkeit. Sie erwarten Verurteilungen und wollen, dass gegen die Verantwortlichen endlich Prozesse geführt werden. Wir haben die feste Absicht, das zu tun", sagt Mariya Nedelcheva, GERB-Abgeordnete im Europaparlament.

Stimmen kaufen und Druck ausüben

Der Wahlkampf in Bulgarien wurde mit harten Bandagen geführt: Die Sozialisten schalteten ungewöhnlich aggressive TV-Spots gegen GERB-Gründer Borissov. Wenige Wochen vor der Wahl hat die Regierung außerdem das Wahlrecht zu ihren Gunsten geändert. "Die neue Regierung wird wahrscheinlich versuchen, einige Leute aus den hohen Etagen wegen der Korruptionsvorwürfe ins Gefängnis zu bringen. Deswegen wird der Kampf so hart geführt", erklärt Georgi Ganev vom Zentrum für liberale Strategien.

Selbst massive Manipulation wird als Wahlkampfmittel befürchtet. Tatsächlich wurden schon bei den Europawahlen Vorwürfe laut, dass Wahlstimmen im großen Stil gekauft worden seien. Für eine Stimme gebe es zwischen 50 und 150 Euro, sagt Tihomir Beslov vom Zentrum für Demokratieforschung. Davon könnte eine Familie in einer ärmeren Region zwei oder drei Monate leben. "Außerdem werden Arbeitnehmer ganzer Firmen von ihren Chefs dazu gedrängt, eine bestimmte Partei zu wählen. Muslime sollen vor Allah schwören, für die Partei der türkischen Minderheit zu stimmen", so Beslov.

Schwere Phase

Ein Mann geht durch Stuhlreihen (Foto: picture-alliance/dpa)
Im April war ein Misstrauensvotum gegen die bulgarische Regierung gescheitertBild: picture-alliance / dpa

Bei einer Wahlveranstaltung der Sozialistischen Partei hat Premierminister Sergei Stanishev an die Erfolge der vergangenen vier Jahre erinnert: Sechs Prozent Wirtschaftswachstum jährlich, Stabilität in der Finanzkrise, neue Arbeitsplätze. Das würden die Bulgaren zu wenig honorieren, meint der sozialistische EU-Abgeordnete Kristian Vigenin: "Wirtschaftlich steht Bulgarien viel besser da als vor vier Jahren. Aber die Leute haben viel mehr erwartet, als Bulgarien der EU beitrat. Die hohen Erwartungen sind Schuld an der Enttäuschung der Menschen, nicht die Regierung."

Die Enttäuschung der Bulgaren werde auch bei der Wahl am Sonntag dafür sorgen, dass viele gar nicht erst zur Abstimmung gehen, sagen Forscher. Doch die wirklich schwierige Phase wird erst nach der Wahl beginnen: Dann fängt die Suche nach Mehrheiten an, denn weder Sozialisten noch GERB, so die meisten Prognosen, werden eine eigene Mehrheit zustande bringen.


Autorin: Simone Böcker
Redaktion: Julia Kuckelkorn