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Restauration oder Revolution?

Anne Allmeling16. Juni 2012

In Ägypten sorgen zwei Urteile des Verfassungsgerichts für politische Ungewissheit. Dabei wächst die Angst vor einer neuen Diktatur. Die Revolutionsbewegung fühlt sich betrogen.

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Protest gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts (Foto: Reuters)
Protest gegen die Entscheidung des VerfassungsgerichtsBild: Reuters

Als die Ägypter am Wochenende einen neuen Präsidenten gewählt haben, hatten sie die Wahl zwischen dem Muslimbruder Mohammed Mursi und dem ehemaligen General Ahmed Schafik. Sie wussten, dass der eine die Scharia einführen will und der andere dem alten Regime nahesteht. Sie wussten auch, dass das künftige Staatsoberhaupt viele Kompetenzen haben wird. Doch wie mächtig der neue Präsident wirklich sein wird – das weiß noch niemand in Ägypten.

Ungültige Parlamentswahl

Eineinhalb Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak hat das Land noch immer keine Verfassung. Die Rolle des Staatsoberhauptes ist nicht definiert. Mittlerweile ist auch wieder unklar, ob der neue Präsident überhaupt vor dem Parlament vereidigt werden kann. Denn Ägyptens Verfassungsgericht hat am Donnerstag (14.06.2012) die Parlamentswahl vom Dezember 2011 für ungültig erklärt – und damit den Zeitplan für einen Übergang von der Herrschaft des Militärrats zu einer zivilen Regierung auf den Kopf gestellt.

Das Verfassungsgericht erklärte die Parlamentswahl für ungültig (Foto: Reuters)
Das Verfassungsgericht erklärte die Parlamentswahl für ungültigBild: Reuters

Was zumindest in den vergangenen Monaten als gesichert galt, nämlich dass die Islamisten das ägyptische Parlament dominieren, ist damit wieder hinfällig geworden. Gleichzeitig hat das Gericht ein Gesetz gekippt, das den umstrittenen Ahmed Schafik von der Präsidentenwahl ausgeschlossen hätte. Vor einigen Wochen hatte das Parlament beschlossen, hochrangigen Funktionären des alten Regimes zu verbieten, zur Wahl anzutreten. Doch nun bleibt Schafik, der für wenige Tage Mubaraks letzter Ministerpräsident war, im Rennen – und nährt die Angst vieler Ägypter, dass im Falle seines Wahlsiegs das Militär an der Macht bleibt.

Sorge vor neuen Unruhen

Schon jetzt steht fest, dass die Mehrheit der Bevölkerung mit dem Ergebnis der Stichwahl unzufrieden sein wird – unabhängig davon, welcher Kandidat gewinnt. Bereits im ersten Wahlgang hatten Mursi und Schafik jeweils weniger als ein Viertel der Stimmen erhalten. In Ägypten ist nun die Rede von einer Abstimmung zwischen "Pest" und "Cholera". Für viele junge Revolutionäre, die das alte Regime im vergangenen Jahr ins Wanken gebracht hatten, ist keiner der beiden Kandidaten wählbar. "Ich fürchte, dass es zu Unruhen größerer Art kommen wird", sagt Hamadi El-Aouni, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Diese Unruhen werden sich weder zugunsten des Militärs noch zugunsten der Muslimbrüder auswirken."

Protest gegen die Kandidatur von Ahmed Schafik (Foto: DAPD)
Protest gegen die Kandidatur von Ahmed SchafikBild: dapd

Die Anhängerschaft der Muslimbrüder scheint ohnehin zu schwinden. "Bei einer neuen Parlamentswahl würden die Muslimbrüder wohl Einbrüche erleiden", sagt Ivesa Lübben, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Universität Marburg, im DW-Interview. "Viele Ägypter sind enttäuscht von der Muslimbruderschaft, weil sie in den vergangenen Monaten so wenig durchgesetzt hat." Eine stagnierende Wirtschaft und sprunghaft gestiegene Kriminalität haben den revolutionären Kräften geschadet. Ein Wahlsieg von Schafik würde allerdings jene stärken, die sich eine Rückkehr des alten Regimes wünschen.

Aufruf zum Wahl-Boykott

Viele Ägypter wollen die Präsidentenwahl boykottieren. Ihr Argument: Sowohl Mursi als auch Schafik seien machtgierig und verlogen. "Korruption und Vetternwirtschaft waren nicht nur das Gefilde des alten Machtapparats", sagt auch Andrea Teti, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Aberdeen, im Interview mit der Deutschen Welle. "Sie sind auch charakteristisch für die Muslimbruderschaft. Insofern repräsentieren Schafik und Mursi lediglich zwei unterschiedliche Seiten der alten Herrschaft."

Der Kandidat der jungen Revolutionäre: Hamdien Sabbahi (Foto: DPA)
Der Kandidat der jungen Revolutionäre: Hamdien SabbahiBild: picture-alliance/dpa

Eineinhalb Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak ist die Aufbruchstimmung in Ägypten Frust und Ratlosigkeit gewichen. Wer von den Urteilen des Verfassungsgerichts am meisten profitiert, ob Schafik oder Mursi die Präsidentschaftswahl gewinnt, ist noch nicht absehbar. Für Hamadi El-Aouni aber scheint eins klar zu sein: "Wenn es opportun ist, das Volk außen vor zu lassen, arbeiten Militär und Muslimbrüder zusammen."